Schlangenkopf
Dreimal darfst du raten.
Da das nun geklärt ist, ruft Barbara Stein als nächstes auf, was sich unter dem Namen »Mesic, Jovan« findet. Dies ist gar nicht einmal so wenig, unter anderen berichtet eine österreichische Tageszeitung über einen Besuch der damaligen Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs im Vatikan, die dort dagegen habe protestieren wollen, dass Jovan Mesic und andere mutmaßliche Kriegsverbrecher in katholischen Klöstern Unterschlupf gefunden hätten. Der zuständige Kardinalstaatssekretär freilich habe die Dame abgewiesen und – als sie daraufhin um eine Audienz beim Papst gebeten habe – ihr erklärt, sie könne sich ja am nächsten Mittwoch auf dem Petersplatz einfinden, dem Ort der Generalaudienz für jeweils einige Zehntausend Gläubige. Dem Artikel beigefügt ist ein Foto des Generals Mesic, das Foto zeigt einen schlanken, energisch wirkenden Mann mit einem scharf gekerbten Gesicht, sorgfältig gestutztem Schnauzbart und sehr dunklen, sehr aufmerksamen Augen – eher nicht das Bild eines Schreibtisch-Soldaten, findet Barbara Stein, ein kroatischer Gebirgsjäger oder Stalingradkämpfer hätte so aussehen können.
Barbara Stein lässt sich den Artikel ausdrucken, dann schließt sie den Computer und überlegt, was sie denn nun gelernt hat, um Fausser danach fragen zu können.
Ach doch, findet sie, ein paar neue Fragen hat sie jetzt schon. Fragen, auf die auch ein Politiker mit Ja oder mit Nein antworten kann.
K omm nur herein, mein Junge!« Im Büro des Hausverwalters brennt als einzige die Schreibtischlampe, eine Tür ist geöffnet und führt in ein zweites Zimmer, dort ist ein Bett aufgeschlagen, eine hohe Kerze brennt. André zögert, aber dann ist er schon im Büro, und der Hausverwalter Kroppenschmitt schließt hinter ihm die Tür. Kroppenschmitt trägt wieder Jeans und ein weißes, bis fast zum Hosengürtel geöffnetes Hemd.
»Diesmal hast du mir nichts mitgebracht?« Der Verwalter steht hinter ihm und legt ihm die Hände auf die Schultern. Die Hände sind schwer und fleischig, und schwer legt sich auch der Geruch des Kroppenschmittschen Parfüms über ihn, Tosca for Men , Großpackung.
Er dreht den Kopf und versucht, zu Kroppenschmitt hochzublicken. »Meine Großmutter …«, beginnt er, aber der Verwalter lässt ihn nicht ausreden.
»Deine Großmutter ist gerade nicht flüssig! Macht nichts.« Er beugt sich zu André hinab und dämpft seine Stimme fast zu einem Flüstern. »Ich vertrau dir doch, mein Junge, und du vertraust mir, das haben wir doch so ausgemacht … Aber was ist denn mit deiner Hand? Du trägst ja gar keinen Verband mehr. Welche Hand war es denn, die rechte, nicht wahr?« Er greift nach unten, fasst Andrés rechtes Handgelenk und hebt es an.
»Ich seh da aber gar keine Verletzung, und auch keine Narbe?« Noch immer steht er hinter dem Jungen, er hat ihn mit beiden Armen umfasst und hält mit seiner Linken dessen rechte Hand fest.
»Es war eine Sehnenentzündung«, antwortet André mit gepresster Stimme.
»Ach! Eine Sehnenscheidenentzündung!« Behutsam beginnt Kroppenschmitt, Andrés Arm abzutasten. »Die können hartnäckig sein, weißt du das? Unter Umständen ist da die ganze Schulter und der Nacken verspannt … Deswegen möchte ich mir das gerne etwas genauer ansehen.« Er lässt Andrés Arm los, beugt sich über ihn und hakt seinen Anorak auf. »Du erlaubst doch!«, sagt er und streift den Anorak von den Schultern des Jungen.
Warum klingelt der Bilch nicht?, überlegt André, als er auch schon die Arme heben muss, um sich den Pullover ausziehen zu lassen. Der Hausverwalter beginnt ihm das Hemd aufzuknöpfen.
»Das sauberste ist das ja gerade nicht, mein Junge«, bemerkt er dazu, »für das nächste Mal werde ich dir wohl frische Unterwäsche heraussuchen …« Doch er spricht nicht zu Ende, denn an der Tür klopft jemand. Das Klopfen wird heftiger.
André, inzwischen mit bloßem Oberkörper, windet sich von Kroppenschmitt los und rennt zur Türe und öffnet sie.
»Einen schönen guten Abend wünsche ich!«, sagt der Bilch und tritt ein, geht auf Kroppenschmitt zu und ergreift umstandslos dessen Hand, um sie anhaltend zu schütteln. »André hat mich sicher angekündigt, ich bin sein Vormund – oh! Ich ahne, der Junge hat das doch nicht getan, und jetzt sind Vorstellungen über den Ablauf des Abends entstanden, die vielleicht ein ganz klein wenig an der Realität vorbeigehen, selten ist die Realität ja so, dass man Kerzenlicht dazu
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