Schlangenlinien
stellte sie ungehalten fest.
Vielleicht hätte mich der Mangel an Herzlichkeit nach all den Briefen, Faxen und E-Mails, die sie mir im Lauf der Jahre geschickt hatte, um mich ihrer Unterstützung, ihrer Freundschaft – ja, Liebe – zu versichern, überraschen sollen, aber ihr verändertes Verhalten wunderte mich nicht im Geringsten. Zuckersüß hatte sie sein können, solange sie mich in Unwissenheit über ihre Affäre mit Sam geglaubt hatte, weil mich das zur Dummen gemacht hatte. Nun aber hatten Sam und Jock offensichtlich – wie ich sie gebeten hatte – erzählt, dass ich schon vor meinem ersten Brief an sie von dem Verhältnis gewusst hatte – und damit war
sie
die Dumme. Genau das aber konnte sie um nichts in der Welt ertragen – dumm dazustehen!
»Ich weiß, und es tut mir Leid«, sagte ich unbekümmert. »Aber es hat länger gedauert, als ich dachte. Erinnert ihr euch an Wendy Stanhope, die Frau des Pfarrers? Wendy – Libby – Jock – Sam.« Ich sah die Männer fragend an, als sie aufstanden, um Wendy zu begrüßen. »Habt ihr die Sandwiches geholt? Wir sind nämlich dem Verhungern nahe!«
Jock zog mit schwungvoller Geste die Tür des Kühlschranks auf. »Bitte sehr«, sagte er, stellte mehrere Platten auf den Tisch und reichte Sam eine Flasche gekühlten Chardonnay.
»Wir haben aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass das Ihr Lieblingsgetränk ist«, sagte Sam, füllte ein Glas und reichte es Wendy. »Ich kann mir denken, dass Sie es sich sauer verdient haben.«
Sie lachte und trank einen herzhaften Schluck. »Nein, keineswegs, ich hab nur den Chor zu den atemberaubenden Koloraturen Ihrer Frau abgegeben. Sie sollten stolz auf sie sein, Sam.«
»Oh, das bin ich, das bin ich«, versicherte er und reichte auch mir ein Glas, bevor er Wendy galant zu einem Stuhl führte. »Sie ist ja auch eine tolle Frau, nicht wahr?« Er zwinkerte mir zu. »Noch genauso schön wie an dem Tag, an dem wir geheiratet haben.«
Ich sah, wie Libby die Mundwinkel herabzog, als sie das Glas Wein, das Sam ihr anbot, ausschlug, und fragte mich, wie lange sie das über sich ergehen lassen würde, ehe sie mir ihre Krallen ins Gesicht schlug. »Ich muss noch fahren«, sagte sie kurz.
»Wie findest du Jocks Bart?«, fragte ich und lehnte mich an die Arbeitsplatte, sodass ich sie direkt gegenüber hatte. »Er steht ihm, nicht?«
»Sie findet ihn grässlich«, bemerkte Jock. »Ihrer Meinung nach macht er mich alt.«
Libby lächelte gereizt. »Hört auf, das hatten wir doch alles schon. Jocks Bart, Sams Glatze, Dorchester, Leicester, das Wetter ...« Ungeduldig trommelte sie mit den Fingern auf den Tisch. »Du hast versprochen, dass du um halb eins da bist, damit ich zurückfahren kann, bevor der Freitagnachmittagsverkehr losgeht«, sagte sie scharf. »Du hast doch gewusst, dass ich vor Jim wieder zu Hause sein wollte.«
»Ruf ihn an und sag ihm, dass du später kommst«, schlug ich vor.
»Das haben wir ihr auch schon geraten«, murmelte Jock.
»Das kann ich nicht. Er soll nicht erfahren, dass ich die Mädchen allein gelassen habe.«
»Hättest du sie nicht zu irgendwelchen Freundinnen verfrachten können?«
»Nicht ohne Fragen«, gab sie gereizt zurück, »und ich wollte wirklich keine langen Erklärungen über die Notwendigkeit dieses Treffens abgeben. Können wir jetzt nicht endlich anfangen?«
Ich ignorierte den Vorschlag. »Du hättest uns nach Leicester kommen lassen sollen«, sagte ich scheinheilig.
Hoho! Wenn Blicke töten könnten ...
»Es ist ja nicht so, als hätte Jock die Absicht, ältere Rechte geltend zu machen«, setzte ich hinzu. Ich ergriff Jocks Hand und schwang sie an meiner Seite leicht hin und her, um mit dieser Geste Bündnisse zu festigen und meine Truppen in Position zu bringen. »Er ist dieser Tage mehr für blond und knackig.«
Jock lachte prustend. »Worauf du dich verlassen kannst«, bestätigte er ungalant. »Und Heirat bleibt außen vor. So einen Fehler mache ich bestimmt kein zweites Mal.«
Es war grausam, aber es belastete mein Gewissen nicht. Hätte ich gleich von dem Verhältnis erfahren, so hätte ich ihr das triumphierende Lächeln aus dem Gesicht geschlagen, bevor ich meinem Mann die Eier abgeschnitten hätte. Aber langsame Rache ist genauso befriedigend. Ich war überzeugt, es würde sie zur Raserei bringen, wenn sie sich gezwungen sah, mit ihren verflossenen Liebhabern banales Zeug zu schwätzen – für anderes war sie zu ungeduldig und zu egozentrisch –, und weder Sam noch
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