Schlangenlinien
so harmlos, sofort in Wut. Er fühlt sich von Eltern, gleichaltrigen Jugendlichen und Lehrern zurückgewiesen und fordert durch unangebrachtes Verhalten zusätzliche Zurückweisung heraus, um vor sich selbst zu begründen, warum niemand ihn mag. Es bestehen Hinweise auf häusliche Gewalt. Er spricht von seinem Hass auf seinen Vater und bezeichnet seine Mutter als »gemeines Luder«. Er ist eng befreundet mit Michael Percy, einem Klassenkameraden aus der Nachbarschaft, den er als ähnlich benachteiligt betrachtet...
...Besorgnis erregend ist Alans Entfremdung, die möglicherweise bereits zu kriminellem Verhalten geführt hat. Meines Erachtens ist rasches Eingreifen erforderlich, wenn eine Verschlimmerung der Dinge vermieden werden soll. Der Junge hat zu Hause und in der Schule Probleme, aber ein endgültiger Schulausschluss ist keine Lösung. Er braucht intensive heilpädagogische Hilfe zur Steigerung seiner Selbstachtung und sollte zu starken und positiven Bindungen an Erwachsene ermutigt werden – entweder innerhalb der schulischen Umgebung oder im weiteren Kreis seines Zuhauses. Erst wenn er das Gefühl hat, von anderen geschätzt zu werden, wird er motiviert sein, seine aggressive und ablehnende Haltung aufzugeben...
8
Ich fand Luke, meinen Ältesten, rittlings auf einem Stuhl hockend in der Küche vor. »Dein Künstler ist draußen und raucht einen Joint«, brüllte er mir ins Ohr, um die dröhnenden Rhythmen von der Terrasse zu übertönen. »Ich hab ihm geraten, vorsichtig zu sein, damit Dad ihn nicht erwischt. Daraufhin hat er sich hinter die Hecke unten an der Terrassentreppe verdrückt.« Er gab mir eine Dose Bier und stand auf, um mich zur Terrassentür zu führen. »Das ist so einer, der gern jammert«, warnte er. »Meint, wir müssen im Geld schwimmen, dass wir uns so ein Haus leisten können, und beklagt sich ohne Ende darüber, dass er in seinem ganzen Leben nie Glück gehabt hat.«
Ich nickte.
»Wo ist Dad?«
»Oben«, brüllte ich zurück.
Luke lächelte schuldbewusst. »Ist er noch wütend wegen seinem Cloudy Bay?«
»Nein, aber er ist kurz vorm Durchdrehen wegen des Krachs.«
»Okay.« Er drängte sich durch das Gewühl und drehte die Anlage auf erträgliche Lautstärke herunter. Als er zurückkam, brachte er einen drahtigen jungen Mann mit dunklem Haar mit, vielleicht fünfundzwanzig und sichtlich nervös. »Danny Slater«, stellte er vor. »Er ist einer von den Typen, bei denen ich mir Infos über die Graham Road geholt hab. Er gibt Kunstunterricht im Gemeindezentrum in Brixton. Den Sommer über ist er draußen auf Portland Bill. Da findet ein Bildhauer-Workshop statt. Und wir landen hier in England in einem Haus, das praktisch um die Ecke ist. Da musste ich ihn natürlich einladen. Das war doch
die
Gelegenheit, sich endlich mal zu sehen.«
Was Luke da sagte, galt mehr Danny als mir. Es wäre doch ziemlich taktlos, hatte er mir mehrmals klar gemacht, über Monate eine Freundschaft mit jemandem aufzubauen, nur damit der arme Kerl dann gleich beim ersten persönlichen Zusammentreffen erriete, dass man von Anfang an Hintergedanken gehabt hatte und sich keineswegs rein zufällig gerade mal zwanzig Kilometer von seinem Urlaubsort entfernt niedergelassen hatte. »Ich sag's dir, ich würde bei so was stocksauer werden«, hatte er mir mit Entschiedenheit erklärt. »Also, geben wir uns ein bisschen Mühe, okay? Mir gefällt er – er ist cool –, und seine E-Mails sind witzig.«
Bedrückte es mich, meinen Sohn zu meinem Verbündeten gemacht zu haben? Ja. Erinnerte ich mich Dr. Elias' warnender Worte, dass Sam sich verraten fühlen würde, wenn er dahinter käme? Ja. Hätte mich das davon abhalten können, Luke zu benutzen? Nein. Ich hatte genug Vertrauen in meinen Mann, um sicher zu sein, dass er niemals seinen Kindern etwas übel nehmen würde, was sie für ihre Mutter getan hatten.
»Die Patientin ist zwanghaft... manipulativ... und Furcht einflößend...«
Danny war nicht gerade der attraktivste junge Mann, der mir je untergekommen war, aber ich setzte trotzdem mein gewinnendstes Lächeln auf und schüttelte ihm herzlich die Hand, nachdem Luke sich entschuldigt hatte und zum Grill hinüberging.
»Sie werden sich nicht an mich erinnern«, sagte ich, »aber mein Mann und ich haben früher in der Graham Road gewohnt. Nummer fünf. Sie können damals höchstens vier oder fünf gewesen sein, aber Ihren älteren Bruder – Alan – kannte ich gut. Ich war seine Englischlehrerin.«
Er
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