Schlangenlinien
um den Hals tragen, und dazu habe ich wirklich keine Lust. Aber wie dem auch sei, mir ist nicht klar, für was für einen Typen Sie sich überhaupt halten.«
Er stieß mit der Schuhspitze gegen eine Steinplatte der Terrasse und wich meinem Blick beharrlich aus. »Na, 'ne Niete eben«, murmelte er. »Als ich das letzte Mal von meinem Vater gehört hab, saß er wegen einem Überfall im Knast. Aber wir haben alle schon mal gesessen. Ich hab sechs Monate wegen Autodiebstahl gekriegt. Alan war vier Jahre in der Jugendstrafanstalt, weil er gedealt hat, und meine beiden Schwestern haben wegen Ladendiebstahl gesessen. Wir sind eine missratene Truppe. Meine Mutter haben alle in der Straße geschnitten, weil ihre Kinder nichts als Mist gebaut haben.« Einen Moment lang versank er in düsteres Schweigen. »Wahrscheinlich hat sie deshalb keine Lust mehr, morgens überhaupt aufzustehen.«
Das Geständnis fiel ihm sichtlich schwer, und ich fragte mich, ob er nicht genauso begierig nach uns gesucht hatte – nach Leuten, die frei von Vorurteilen gegen den Slater-Clan waren – wie wir nach ihm. Aber wenn das zutraf, warum hatte er dann so bereitwillig von der »missratenen Truppe« berichtet? Der berechnende Blick, mit dem er mich ansah, als er den Kopf hob, überzeugte mich, dass er mich auf die Probe stellen, meine Aussage, dass ich nicht bereit war, Menschen in Schubladen zu stecken, überprüfen wollte. Mein Mitgefühl schwand ein wenig. Ich hatte den Verdacht, dass er Befriedigung daraus zog, anderen zu grollen, und dass er es geradezu darauf anlegte, zurückgewiesen zu werden, um diesen Groll zu nähren – und ich fragte mich, wer von uns beiden der Manipulativere war.
»Ich dachte, Sie würden sich als jungen Künstler bezeichnen, der alles daransetzt, sich den Weg nach oben zu erkämpfen«, sagte ich mit einem kleinen Lachen. »Mit ‘Niete’« hatte ich wirklich nicht gerechnet. Heißt das etwa, ich verschwende nur meine Zeit, wenn ich Sie einmal bei dem Bildhauer-Workshop besuche?«
Er lächelte widerstrebend. »Nein. Ich bin ein guter Bildhauer.«
»Das überrascht mich nicht«, erklärte ich. »Ihr Bruder hatte mit vierzehn ein bemerkenswertes Talent.«
Er sah mich erstaunt an. »Alan?«
Ich nickte. »Ja. Ich habe heute noch eine kleine Holzfigur, die er mir damals geschnitzt hat. Es ist eine Schlange mit einem Federkranz um den Kopf.«
»Ah ja, das kann stimmen«, sagte Danny. »Er hat's heute noch mit diesem Aztekengott, der angeblich halb Schlange, halb Vogel war. Er ist felsenfest überzeugt davon, dass der Kerl ein Außerirdischer war, der auf die Erde heruntergekommen ist, um in Mexiko eine Kultur zu schaffen, die heute untergegangen ist. Nichts als Quatsch natürlich.«
»Quetzalcoatl?«, fragte ich.
»Genau. Er hat in seinem Wohnzimmer ein Mosaik mit einem Bild von ihm an der Wand hängen.«
Mehr erfuhr ich an diesem Abend nicht über Alans Mosaik. Danny redete zwar des Langen und Breiten darüber, wie lächerlich der Glaube seines Bruders an Außerirdische sei, aber er ging dabei nicht näher auf das Bild ein. Mit ziemlich mühsam bewahrter Geduld hörte ich mir die ewig gleichen abgedroschenen Argumente für und wider die Existenz von Außerirdischen an und war erleichtert, als eine große Brünette mit endlos langen Beinen mir Danny abspenstig machte, indem sie ihn um Feuer für ihre Zigarette bat.
Ich beobachtete eine Weile die beiden, die so eine Art Hochzeitstanz eröffneten, indem sie ihre Köpfe über dem Feuerzeug einander entgegenneigten, und wollte gerade wieder ins Haus gehen, als Sam mit einem Friedensangebot neben mich trat. »Es ist ein Cloudy Bay«, bemerkte er brummig und drückte mir ein Glas Wein in die Hand. »Ich wollte ihn eigentlich allein runterkippen und meinen Kummer darin ertränken, aber die bessere Einsicht hat gesiegt. Es ist ja schließlich nicht deine Schuld, dass Larry mich so aufgestachelt hat.«
Es war nicht die weiße Flagge, aber es war ein Waffenstillstandsangebot. Ich nahm es mit erhobenem Glas und einem Lächeln an und fragte mich dabei, ob Sam die Gelegenheit, die ich ihm gegeben hatte, genutzt und sich darüber informiert hatte, wer Danny Slater war und warum er hier war. Wenn nicht, würde der Waffenstillstand vermutlich von kurzer Dauer sein. Wenn seine Frau und sein Schwiegervater vor ihm Geheimnisse hatten, dann war das eine Sache – wenn seine Söhne so etwas mitmachten, war das etwas ganz anderes.
Es war, als hätte er meine Gedanken gelesen.
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