SCHLANGENWALD
des Landes sind dort bedroht. Aber früher gab es noch viel mehr Goldminen, die Teile des Landes für immer zerstört haben.“ Clea las weiter, runzelte dann die Stirn. „Was sehe ich denn da? Hier, ein aktueller Artikel, in dem sie schreiben, dass sich gerade einige costa-ricanische Minister höchstpersönlich für die Genehmigung einer neuen Goldmine einsetzen …“
Als Paula gegen halb zwei Uhr morgens zu Bett ging, war die Vorfreude auf ihre angeblich so großartige Reise merklich getrübt.
Vier
Donnerstag
1.
Santo hatte Paula am Montag anrufen lassen und angefragt, ob er ein Treffen mit Kandin für Donnerstagmorgen bestätigen könne. Paula sagte zu.
Das Firmengebäude befand sich am südlichen Stadtrand von Wien, wo viele Industrieunternehmen ihren Sitz hatten. Pünktlich um halb zehn betrat Paula die Eingangshalle des imposanten Baus aus Glas und Stahl. Inmitten der räumlichen Leere befand sich ein Schreibtisch aus Milchglas, der mit türkisfarbenem Licht indirekt beleuchtet war. Dahinter saß eine junge, sonnenbankgebräunte Frau, die ihre blondierten Haare hochgesteckt trug. Paula hatte das Gefühl, durch eine Architekturzeitschrift zu schreiten.
„Entschuldigen Sie bitte. Wo finde ich das Büro von Herrn Doktor Kandin?“, wandte sich Paula an die Empfangsdame.
„Frau Magistra Ender?“
„Ja.“
„Einen Moment, bitte.“ Mit langen, violett lackierten Fingernägeln tippte die Rezeptionistin eine Nummer in das Telefon.
„Ihr Termin ist eingetroffen.“
Nach einer kurzen Pause sagte sie zu Paula gewandt: „Fünfter Stock, zweite Tür links, Zimmer 502. Wenn Sie bitte hier den Lift nehmen würden.“ Mit einer grazilen Handbewegung deutete sie in die entsprechende Richtung und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu.
Oben angelangt, wurde Paula von Kandins Assistentin empfangen, die sie in ein geräumiges Besprechungszimmer führte.Ein stahlblauer Teppichboden dämpfte ihre Schritte. Die Assistentin bat sie, auf einem der Stühle Platz zu nehmen. Ein Designerstück aus blauem Stahl. Sehr edel und sehr unbequem. Paula zog es vor, die wunderbare Aussicht zu genießen. An den weiß gestrichenen Wänden hingen moderne Bilder in grellen Farben. Paula kannte sich zu wenig mit moderner Kunst aus. Sie konnte nur sagen, ob ihr etwas gefiel oder nicht, und diese Bilder fand sie verstörend.
„Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie habe warten lassen, aber die Situation an der Börse …“, durchschnitt eine Männerstimme die Stille. Doktor Ralf Kandin kam auf Paula zu und drückte energisch ihre Hand.
Richtig, ein neuerlicher Kurssturz an der Börse! Paula erinnerte sich an die Schlagzeilen im Teletext. Da ihr im Moment kaum Geld zum Leben, geschweige denn zum Veranlagen blieb, war sie zumindest nicht direkt von den sinkenden Aktienwerten betroffen und hatte dem Thema keine weitere Beachtung geschenkt.
Kandin hätte sich gut auf einem Wahlplakat gemacht. Er sah aus wie jene Politiker mit aufgekrempelten Ärmeln, die gleichermaßen Sicherheit und Dynamik vermitteln wollten. Der oberste Knopf seines blauen Hemdes war offen. Die blau gestreifte Krawatte hatte er gelockert.
Als die Sekretärin den Raum betrat, musste Paula sich ein Grinsen verkneifen, so perfekt passte die langbeinige Frau im hellblauen Kostüm zum Interieur.
„Einen Kaffee für mich. Was möchten Sie?“, fragte Kandin. Paula entschied sich für eine Tasse Kräutertee.
„Stört es Sie, wenn ich rauche?“ Kandin zog eine Zigarette aus der Packung und hielt sie lächelnd hoch.
„Es wäre sehr nett, wenn Sie darauf verzichten könnten.“
Kandin machte für den Bruchteil einer Sekunde ein verdutztes Gesicht. Offenbar hatte er nicht ernsthaft erwartet, dass seinGast Einspruch erheben würde. Er steckte die Zigarette wieder in die Packung und lächelte Paula an.
„Ich mag Leute, die geradeheraus sagen, was sie stört. Da ich sozusagen Ihr persönlicher Begleiter bin und Sie in den nächsten Wochen hier in Wien, und später auch vor Ort in Costa Rica, mit dem Projekt vertraut machen werde, ist es mir sehr wichtig, dass wir offen zueinander sind.“
Paula nahm einen Schluck vom Kräutertee. Irgendetwas irritierte sie an Kandin.
„Wie es aussieht, werden wir gemeinsam nach Costa Rica fliegen.“
Für Paula, die unter Flugangst litt, klang das wie eine Drohung. In einem Flugzeug neben jemandem über viele Stunden sitzen zu müssen, mit dem sie sich klug unterhalten sollte, anstatt mehrere Gläser Prosecco hinunterzustürzen
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