SCHLANGENWALD
und anschließend in einen erlösenden Schlaf zu fallen, stellte sie sich äußerst anstrengend vor.
„Haben Sie sich schon ein wenig eingelesen? Über Land und Leute?“
Kandins Frage war rein rhetorisch, denn er fuhr fort, ohne auf ihre Antwort zu warten.
„Ich habe Ihnen eine Mappe mit den wichtigsten Informationen über unser Tourismusprojekt zusammengestellt: Lage, Ausstattung, Ausflugsziele in der Umgebung, statistische Daten und dergleichen mehr. Fürs Erste sollte das genügen.“
Er schob Paula eine dicke Mappe zu, die sie unwillkürlich an Cleas Schilderungen erinnerte.
„Wir sind sehr stolz auf diese Ferienanlage. Es wird eine Erlebniswelt sein, die alle Stückerln spielt und für jedes Alter von null bis hundert konzipiert ist. Sei es im Bereich Fitness, Naturerleben oder Unterhaltung. Für die anfallenden Müllmengen wurde eine neuartige Entsorgungsanlage entwickelt, die den Abfall weitestgehend zu Humus aufbereitet. Dieserwird von uns an die benachbarten Bauern kostenlos abgegeben. Ich glaube, der Stoff für unsere Informationskampagne wird Ihnen nicht ausgehen.“
Kandin sah Paula erwartungsvoll an.
„Warum ging denn jetzt doch alles so schnell mit den Genehmigungen? Im Normalfall dauern die behördlichen Verhandlungen für den Bau, Wasser, Strom et cetera, doch oft Jahre für Projekte dieser Größenordnung, sagten sie bei unserer ersten Besprechung.“
„Wie ich vorhin schon erwähnte, haben wir große Anstrengungen unternommen, der Natur nicht zu schaden. Dieses ökologische Verständnis und natürlich auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten für die Region, die sich aus derlei touristischen Investitionen ergeben, wie Ausflugsunternehmen, Unterhaltungs- und Gastbetriebe, haben es uns leicht gemacht, die zuständigen Behörden und Politiker zu überzeugen.“
Die Sprechanlage surrte.
„Ja, bitte?“
„Ich soll Sie an die Besprechung mit Herrn Doktor Müller um elf Uhr dreißig erinnern. Sie wollten noch die Unterlagen durchlesen“, hörte Paula die Stimme der Sekretärin.
„Tja, leider muss ich mich für heute von Ihnen verabschieden.“ Kandin erhob sich. „Morgen muss ich nach Frankfurt. Aber wenn es Ihnen recht ist, melde ich mich bei Ihnen, nachdem ich von meiner Dienstreise zurück bin. Vielleicht können wir bei einem gemeinsamen Abendessen weitere Details klären?“
So eilig?, dachte Paula. Zu Kandin sagte sie höflich, dass sie sich schon sehr auf die Zusammenarbeit freue, was nicht einmal gelogen war.
2.
Zu Hause arbeitete sich Paula durch verschiedene Costa Rica-Foren durch. Es gab mittlerweile keine Frage mehr, die sich nicht übers Internet beantworten ließ. Der einzige Nachteil war, dass man nie so genau wusste, ob die Informationen auch tatsächlich stimmten, die in Windeseile auf dem Bildschirm auftauchten.
Paula blieb bei einigen Fotos einer Schlange hängen. Die Person, die sie ins Netz gestellt hatte, wollte wissen, zu welcher Gattung sie gehörte. Paula erfuhr, dass die Schnappschüsse eine der zweiundzwanzig Giftschlangenarten zeigten, die es in Costa Rica gab. Daneben waren über hundert verschiedene Natternarten und sechs Riesenschlangenarten bekannt. Die größte und schwerste Würgeschlange war die Boa Constrictor, deren erwachsene Weibchen über drei Meter lang und über zwanzig Kilo schwer werden konnten. Die ungiftigen Nattern waren harmlose Tiere von zwanzig Zentimetern bis zu drei Metern Körperlänge, las Paula weiter, doch blieb die Frage offen, wie sie die harmlosen von den giftigen Schlangen unterscheiden sollte.
Was Paula noch mehr ängstigte, war die Aussicht, einer Zentralamerikanischen Lanzenotter zu begegnen, die für die meisten der gefährlichen Bissunfälle in Costa Rica verantwortlich war. Diese hervorragend getarnte Spezies wich ahnungslosen Eindringlingen nicht aus, sondern verharrte im Unterholz. Sobald man der bis zu zweieinhalb Meter langen, hochgiftigen Schlange zu nahe kam, biss diese zu. Wobei das Tier auch von oben, aus Bäumen und Sträuchern, zuschlagen konnte. Dagegen half auch kein festes Schuhwerk. Das Foto von einem abgestorbenen Arm, das zur Veranschaulichung ins Forum gestellt worden war, würde Paula nicht mehr so schnell aus dem Kopf gehen.
Auch der Buschmeister, eine Giftschlangenart, die bis zu vier Meter lang werden konnte, schnürte Paula den Hals zu.
Dass die jährlich über fünfhundert Bissunfälle mit Giftschlangen in Costa Rica aufgrund der ausgezeichneten medizinischen Versorgung nur in fünf
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