SCHLANGENWALD
Ferienanlage zu bringen. Dem Wiedersehen sah sie mit Skepsis entgegen.
Die zwei Tage bis dahin wollte Paula ursprünglich nutzen, um sich San José anzusehen. Doch nach einigen Gesprächen mit anderen Reisenden, vorwiegend Amerikanern, die regelmäßig zur Vogelbeobachtung nach Costa Rica kamen, beschloss sie, die zwei freien Tage nicht in der lauten Stadt zu verbringen, sondern eine der angebotenen Dschungeltouren zu buchen. Alle hatten von der wunderbaren Naturkulisse Costa Ricasgeschwärmt und beteuert, dass solche organisierten Touren völlig sicher waren.
Paula buchte eine Fahrt in einem klimatisierten Bus zum Nationalpark Tortuguero mit Nächtigung in einer modernen Urwald-Lodge. So versprach es der Prospekt.
2.
Es fiel Paula nicht schwer, sich am nächsten Morgen um sechs Uhr bei der Rezeption einzufinden, wo sie der Reisebegleiter abholte. Gegen fünf Uhr waren die ratternden Belüftungsgeräte im Hofschacht wieder eingeschaltet worden und hatten sie unsanft aus dem Schlaf gerissen. Im Rucksack verstaute sie – wie ihr der Rezeptionist dringend empfohlen hatte – ein zweites Paar Schuhe, den Fotoapparat, eine Regenpelerine und Wäsche zum Wechseln. Im Urwald gingen immer wieder kurze Regenschauer nieder, hatte er ihr erklärt, und die Wäsche trocknete bei der hohen Luftfeuchtigkeit, wenn überhaupt, nur sehr langsam.
Die Aircondition des Kleinbusses bestand aus vier geöffneten Fenstern. Der Fahrer entschuldigte sich in gebrochenem Englisch und faselte etwas von einem überraschenden Defekt. Die anderen Tourengäste schien es nicht zu stören, ohne funktionierende Klimaanlage reisen zu müssen. Paula hingegen schwitzte bereits, obwohl es noch sehr früh war und sie nur ein T-Shirt und eine kurze Hose trug. Die Gruppe bestand aus einem amerikanischen Ehepaar, zwei Studenten, die jedes Detail der Reise akribisch notierten, und einem jungen Paar aus der Schweiz, das sich auf Hochzeitsreise befand, wie sie Paula freudestrahlend erzählten, sobald sie erfuhren, dass sie aus dem Nachbarland Österreich kam. Wie sich später herausstellte, hatten alle Costa Rica bereits mehrmals bereist und wussten, dass nicht immer alles zutraf, was die Prospekte anpriesen. Diese erste Lektion hatte Paula nun auch gelernt.
Die mehrstündige Fahrt führte über holprige Straßen durch den Nationalpark Braulio Carillo . Unendliches Grün im Dunst. So viele Regenbögen wie an diesem Tag hatte Paula in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Die Fahrt ging vorbei anWeideland und riesigen Bananenplantagen, von denen sie eine besichtigen konnten. Hier schien alles mit rechten Dingen zuzugehen: Die Arbeiter trugen Schutzmasken, alles wirkte vorbildlich. Paula konnte nichts von den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen entdecken, die im Internet angeprangert wurden. Oder befanden sie sich hier nur auf einer Schau-Plantage für Touristen?
In einer Gaststätte nahmen sie das traditionelle Frühstücksgericht ein: Gallo Pinto – Reis und Bohnen. Dazu wurden gebratene Kochbananen, Tortillas, Avocados und Mangos serviert.
Paulas Tischnachbarin, eine schrullige ältere Amerikanerin mit einem wettergegerbten Gesicht, wollte wissen, woher sie kam.
Als Paula antwortete, machte Sally Lind, so hieß die Dame, ihrer Begeisterung Luft. „Austria, Vienna. How lovely!“, schwärmte sie und begann Rock me Amadeus von Falco zu intonieren.
In Caño Blanco stiegen alle in ein Boot um. Die Fahrt zum Nationalpark Tortuguero ging durch Lagunen und Kanäle. Als Paula das ebenerdige Zimmer in der Dschungel-Lodge bezog, war sie froh, sich auf der harten Matratze ausstrecken zu können. Wenigstens der Raum präsentierte sich so sauber, wie es im Prospekt versprochen worden war. Es gab sogar ein Waschbecken mit fließendem, wenn auch kaltem Wasser. Ein riesiger Deckenventilator sollte für Kühlung sorgen, hielt jedoch nur die schwüle Luft in Bewegung. Wenn Paula aus dem Fenster sah, konnte sie von einer Stelle aus einen Blick auf das nahe Karibische Meer werfen.
Nach dem Mittagessen wurden die Tourenteilnehmer auf ein Boot verfrachtet, mit dem sie tiefer in den Regenwald hineinfuhren, um dort die Flora und Fauna der unberührten tropischen Natur kennenzulernen. Das Naturschutzgebiet Tortuguero erstreckte sich über eine Fläche von rund 19.000 Hektar und zählte zu einer der Hauptattraktionen des Landes. So stand es zumindest in Paulas Reiseführer, den Santo ihr geschenkt hatte. Neugierig hielt sie nach Papageien, Affen, Kaimanen und
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