SCHLANGENWALD
setzte, weil dies der beste Platz bei Flugangst sei. Paula fügte sich notgedrungen und musste dem Piloten bald recht geben. Ihre Bedenken verschwanden nach und nach, als sie sehen konnte, wie sicher er das Flugzeug im Griff hatte.
„Viele Leute fürchten sich vorm Fliegen, weil sie nicht wissen, wie so eine Maschine bedient wird. Wenn sie erst einmal sehen, wie es funktioniert und dass es keine Hexerei ist, dann ist zumeist auch ihre Angst weg“, redete der Mann auf Spanisch auf sie ein. Er freute sich, dass er einen Fluggast hatte, der seiner Sprache einigermaßen mächtig war.
„Wunderbares Wetter haben wir heute! Vorige Woche mussten wir einige Flüge absagen, weil so starke Unwetter niedergegangen sind. Sehr schlecht für das Geschäft.“
Paula beteiligte sich, so gut sie konnte, an dem Gespräch, aber von dem, was der Pilot erzählte, verstand sie nur einen Bruchteil.
„Es liegt alles in Gottes Hand. Wenn es bestimmt ist, dass man mit einem Flugzeug abstürzt, dann kann das auch bei schönstem Wetter passieren“, philosophierte der Mann weiter. Diese Bemerkung hatte Paula leider verstanden. Dank ihrerblühenden Fantasie tauchten schreckliche Bilder vor ihren Augen auf. Der Artikel über den Flugzeugabsturz nahe San José und die Fotos von den ausgebrannten Überresten der Cessna fielen ihr ein. Sie sprach den Piloten darauf an.
„Oh, Mutter Gottes!“ Er bekreuzigte sich. „Das muss eine schreckliche Sache gewesen sein. Wissen Sie, ich habe einige Insassen persönlich gekannt. Dieser Österreicher, Roman Bartl, der war immer wieder hier in der Gegend. Zweimal ist er auch mit mir geflogen. Ein sehr sympathischer Mann und so engagiert im Kampf gegen Umweltsünder. Auch den Piloten kannte ich, er war ein sehr zuverlässiger Mann. Keiner kann verstehen, wie das passieren konnte. Die Cessna war eine moderne Maschine und tipptopp gewartet, der Pilot absolut zuverlässig. Kein Alkohol, keine Drogen. Und zum Zeitpunkt des Absturzes gab es auch kein Unwetter. Das begann erst später während der Suche.“
Er bekreuzigte sich nochmals. „Das ist es, was ich meine: Es liegt alles in Gottes Hand, das Leben und der Tod.“
Paula blickte auf den unendlich scheinenden Urwald hinunter. Die Panik abzustürzen war nun wieder voll da. Noch ungefähr eine Stunde würde sie mit diesem flauen Gefühl im Magen durchhalten müssen. Diesmal ohne Sekt und ohne erlösenden Schlaf.
2.
Kandin erwartete Paula auf dem Flughafen von Playa Tamarindo . Sein Gesicht war sonnengebräunt und wie immer sah er unverschämt gut aus. Im Gegensatz zu Paula, die sich nach den ungewohnten Strapazen der letzten Tage wie eine ausgepresste Zitrone fühlte. Ihr schulterlanges Haar hing ihr strähnig ins Gesicht und unter den Augen hatte sie dunkle Ringe. Erschöpft ließ sie sich in die Sitze des klimatisierten Autos fallen und war froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Die Fahrt zur Ferienanlage führte durch dicht bewaldetes Gebiet. Paula wusste aus den Unterlagen, dass die Anlage am Rand eines Naturschutzgebietes in der Nähe von Tamarindo lag, doch sie hatte keine Ahnung, wie weit es bis dorthin war.
„Hatten Sie einen guten Flug? Sie sehen etwas müde aus.“
Kandin verlor noch immer kein Wort über das Tête-à-Tête in Wien und blieb beharrlich beim Sie, was Paula sehr recht war. Sie erzählte vom Ausflug in den Urwald und dem Flug im Cockpit. Er hörte interessiert zu oder tat zumindest so, während er gekonnt die Löcher in der Straße umfuhr.
„Glauben Sie nicht, dass vielen Feriengästen die Anreise zur Ferienanlage zu anstrengend sein könnte?“ Paula konnte sich diese Frage nicht verkneifen.
„Solange die Anreise über San José geht, müssen wir aus der Not eine Tugend machen und sie den Gästen gewissermaßen als Teil des Urlaubserlebnisses verkaufen.“ Er zwinkerte ihr zu. „Das wird unter anderem eine Ihrer Aufgaben sein.“
Die Autofahrt dauerte fast eine Stunde. Schon von Weitem waren zwei riesige Portale zu erkennen, über denen Welcome to Tico World stand. Ticos, so wurden die Einwohner Costa Ricas genannt, erinnerte sich Paula im Reiseführer gelesen zuhaben. Die Tore standen offen und waren breit genug, dass auch Busse hindurchfahren konnten. Zwei Schranken verwehrten die freie Zufahrt zum Gelände. Links von ihnen stand ein Wachhaus, in dem sich uniformierte Männer aufhielten. Eine an die drei Meter hohe, weiße Mauer verwehrte den Blick ins Innere der Anlage.
„Wirkt ein
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