SCHLANGENWALD
Ihnen Herr Kandin sicher schon erzählt hat, handelt es sich dabei um ein eigens für die Firma Qualistant Ltd. entwickeltes Verfahren, das sehr viel Geld gekostet hat.“ Ricardalächelte Paula verschmitzt zu. „Die Müllverbrennungsanlage haben Sie also schon gefunden. Was möchten Sie denn als Nächstes sehen?“
„Eigentlich war ich auf der Suche nach dem …“ Das Wort für Wasserfall wollte Paula auf Spanisch einfach nicht einfallen und so versuchte sie es mit Gesten und Umschreibungen.
Ricarda amüsierte sich über die Darbietung und führte Paula zurück auf den Besucherweg. Kurze Zeit später standen sie vor einer fulminanten Kulisse, viel eindrucksvoller, als Paula es sich in ihrer Fantasie ausgemalt hatte. Auf den beiden oberen der stufenförmig gestalteten Felsterrassen befanden sich Bassins, die noch mit Plastikplanen abgedeckt waren. Das große Becken darunter würde wohl wie ein Natursee erscheinen, wenn es erst einmal mit Wasser befüllt war.
„Hier vorne rechts wird der Wasserfall herunterdonnern. Ich war bei der Probe dabei. Sieht sehr imposant aus. Aber das werden Sie alles ohnehin morgen sehen.“
Es dämmerte bereits, dabei war es noch nicht einmal sechs Uhr. Paula hatte noch immer Schwierigkeiten, sich an den raschen Einbruch der Dunkelheit zu gewöhnen.
„Ich würde sagen, wir gehen noch auf den Hauptplatz. Danach genehmigen wir uns ein Abendessen in dem kleinen Restaurant, in dem Sie schon heute Mittag gegessen haben“, schlug Ricarda vor.
Auf dem Hauptplatz arbeiteten Bauleute im grellen Schein der Lampen. Die beiden Frauen schlenderten über die Terrasse des Castel Tico und lugten durch die hohen bogenförmigen Fenster.
Danach gingen sie zum Restaurant, in dem sich bereits einige Arbeiter zum Abendessen versammelt hatten. Auch der einsilbige Mann aus der Müllanlage saß mit seinen Kollegen an einem der Tische und würdigte Paula keines Blickes.
Zehn
Dienstag
1.
Den nächsten Tag verbrachte Paula am Strand. Der Himmel war wolkenlos, und die Sonne schien so stark, dass sie schon nach kurzer Zeit in den Schatten einer Palme flüchtete.
Kandin hatte sich am Morgen kurz zu ihr gesellt, als sie im Vista Mar , so hieß das Lokal, in dem sie die Mahlzeiten bisher eingenommen hatten, beim Frühstück gewesen war. Er hatte sich entschuldigt, dass er sie noch nicht in die Arbeit hatte einweisen können, da er diesen Tag mit den Bauarbeitern und Handwerkern verbringen musste, damit für den Empfang noch alles rechtzeitig fertig wurde. Kandin hatte Paula nur das Büro gezeigt, das bis zur Fertigstellung des Hauptgebäudes in einem Bungalow untergebracht war.
Ricarda hatte auch keine Zeit. Sie musste nach Tamarindo fahren und bot Paula an, sie zu begleiten. Doch sie verspürte keinerlei Lust, die holprige Strecke schon wieder zurückzulegen. Sie zog es vor, ans Meer zu gehen.
Der weiße Sandstrand fiel flach zum Wasser hin ab und präsentierte sich trotz der Palmenbegrenzung doch nicht so romantisch, wie Paula erwartet hatte. Da er noch nicht regelmäßig für die Feriengäste gereinigt wurde, lagen überall Rückstände der letzten Flut: Neben Algen, Geäst und angeschwemmten Meerestieren lagen jede Menge Dosen und Kunststoffteile herum. Die Spuren der Zivilisation ließen sich auch an diesem idyllischen Fleckchen Erde nicht ignorieren. Und das, obwohl das Gebiet noch nicht einmal für den Massentourismus erschlossen worden war.
Paula rekelte sich im Schatten der Palme. War es das, wovon die Leute träumten, wenn sie sich auf eine einsame Insel wünschten? Nur das Rauschen des Meeres und das Rascheln der Blätter. Keine Menschenseele weit und breit. Vögel zogen ihre Kreise, Eidechsen tummelten sich hektisch im Sonnenlicht und erstarrten von einer Sekunde zur nächsten. Über all dem der blaue Himmel. Bis die nächste Welle eine Plastikflasche an den Strand spülte und daran erinnerte, dass irgendwo da draußen das stattfand, was Zivilisation genannt wurde.
Vielleicht hatte Kandin mit seiner Müllverwertungsanlage die Lösung für diese Probleme gefunden oder es gelang ihm zumindest, sie zu verringern. Er war zweifelsohne ein kompetenter Geschäftsmann, dem aber auch die Umwelt am Herzen zu liegen schien.
Paula gähnte und lehnte sich zufrieden an den Stamm der Palme. Ihr innerer Schweinehund hatte beschlossen, die Zeit bis zum Empfang hier am Strand zu verbringen. Sie hatte kurz überlegt, ins Büro zu gehen und sich Zugang zum Internet zu verschaffen. Immerhin hatte sie schon
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