SCHLANGENWALD
Sie das. Es ist ein sehr schönes Land mit einer artenreichen Natur, kilometerlangen Stränden, Sonne. Das ist ein Luxus, den viele andere Länder nicht haben. Darum kommen auch so viele hierher und kaufen da und dort ein Stück Land. Der Verkäufer glaubt, ein gutes Geschäft gemacht zu haben, und freut sich über den erzielten Preis. Die wirklichen Gewinner aber sind die Käufer. Vor allem, wenn es sich dabei um große Firmen handelt, die das Land für ökonomische Projekte ausnutzen. Das tun sie solange, bis die natürlichen Ressourcen erschöpft sind und die Natur nachhaltig zerstört wurde.“ Er hob sein Glas, prostete ihr zu und trank es in einem Zug leer. Paula fiel ein, was Clea ihr über Goldabbau und Obstplantagen vorgelesen hatte. Schade, dass ihre Freundin nicht hier sein konnte. Blanco mit seiner direkten Art wäre ihr sympathisch gewesen. Der Journalist sah sie mit leicht geröteten Augen an und grinste.
„Man hat mir erzählt, dass Sie über diese Anlage früher negative Storys geschrieben haben. Was war damals so schlimm? Und warum haben Sie plötzlich Ihre Meinung geändert?“, hakte Paula nach und kam damit wieder einmal ihrer besonderen Begabung nach, zur falschen Zeit die falschen Fragen zu stellen.
Juan Blanco füllte das Glas ein weiteres Mal und nahm einen großen Schluck. Sein Alkoholspiegel musste schon ziemlich hoch sein.
Paula wollte ihm noch weitere Fragen stellen, doch plötzlich spürte sie eine Hand auf der Schulter und Kandin flüsterte ihr ins Ohr.
„Sie müssen entschuldigen, wenn Blanco eigenartiges Zeug von sich gibt, aber leider weiß er nie, wann er genug hat. Stimmt’s Sportsfreund?“
Die letzten Worte waren an Blanco gerichtet, dem er fest auf die Schulter klopfte, sodass der ein wenig Wein auf dem Tischtuch verschüttete.
„Kommen Sie, einer unserer Arbeiter wird Sie heimbringen.“
Blanco erhob sich schwerfällig. Er stützte sich auf Paulas Schulter, bevor Kandin sich bei ihm einhakte und ihn vom Tisch führte.
Der Sonnenbrand, den sie bekommen hatte, obwohl sie den ganzen Tag im Schatten gesessen war, machte Paula zu schaffen. Dazu das Reden in fremden Sprachen. Auch wenn es Spaß machte, ihre Englisch- und Spanischkenntnisse wieder aufzufrischen. Sie stieß mit Ricarda, mit der sie nun immer häufiger Spanisch redete, auf das Du-Wort an. Solange sie Englisch gesprochen hatten, klang alles amikal. Doch im Spanischen war die Höflichkeitsform usted statt tu für Paulas Ohren sehr befremdend.
Der Wein war süffig und verfehlte nicht seine berauschende Wirkung. „Aus Österreich importiert“, hatte ihr Ricarda lächelnd zugeraunt und erklärt, dass der Rum aus Costa Rica zwar weltberühmt war, der Wein hingegen nichts für verwöhnte Gaumen.
Bald darauf verabschiedete sich Paula und ging in den Bungalow. Wieder war ein Tag vergangen, an dem sie sich weder bei ihrer Familie noch bei ihren Freunden gemeldet hatte. Ihr Handy hatte in dieser Gegend keinen Empfang, weil das Netz nur im zentralen Hochland und in dicht besiedelten Gebieten Costa Ricas flächendeckend war.
Die E-Mails hatte sie ebenfalls nicht abgerufen, weil sie zu faul gewesen war. Nun plagte Paula das schlechte Gewissen. Hoffentlich machten sich ihre Eltern keine Sorgen. Ob ihr Markus endlich geschrieben hatte? Oder Kurt? Oder Clea?
Müde ließ sie sich aufs Bett fallen. Ihr hellblaues Kostüm war völlig zerknittert. Sie zog den Rock aus und warf ihn auf den Boden. Dann schälte sie sich aus der Jacke und schubste sie ebenfalls vom Bett. Erschöpft wickelte sie sich ins Leintuch ein. Dabei fiel ihr Blick auf ein Kärtchen, das eben aus der Jackentasche gefallen sein musste. Juan Blanco, Correo de Santa Cruz , stand darauf, eine Adresse und jede Menge Ziffern. Der betrunkene Journalist musste es ihr zugesteckt haben, bevor Kandin ihn nach Hause verfrachten ließ.
Schon wieder eine Visitenkarte, murmelte Paula im Halbschlaf und für eine Sekunde tauchte das Gesicht des Finanzanalysten auf und dessen Telefonnummer kam ihr wieder in den Sinn: 01/234 67 89 oder war es doch 01/234 57 89? Was waren das doch immer für unsinnige Informationen, mit denen sie ihr Gehirn malträtierte? Das war das Letzte, woran sie dachte, bevor sie der Schlaf übermannte.
Elf
Mittwoch
1.
Am nächsten Morgen wurde Paula durch ein dumpfes Dröhnen geweckt, das alles um sie herum vibrieren ließ. Ruckartig richtete sie sich auf. Wo war sie? Was war das für ein Geräusch? Ihre Augen gewöhnten sich nur langsam an die
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