SCHLANGENWALD
demonstrativ weg, die Lippen fest aufeinander gepresst.
Während des Abendessens redete in erster Linie Kandin. Paula antwortete einsilbig, wenn er eine Frage an sie richtete. Ricarda bezog er nicht ein einziges Mal in die Unterhaltung mit ein.
Als Emilio an den Tisch trat und Kandin mitteilte, dass jemand am Telefon sei, der ihn sprechen wollte, hatte Paula einen Moment lang den Eindruck, als ob er den Anrufer abwimmeln wollte. Dann entschloss er sich doch, das Gespräch anzunehmen. Bevor er den Tisch verließ, warf er Ricarda einen strengen Blick zu. Schweigend stocherte sie in ihrer Tortilla de patatas, einer Maisflade mit Kartoffeln.
Kaum war Kandin außer Sichtweite, platzte Paula heraus:
„Was ist los mit dir? Du bist so komisch. Bist du sauer auf mich?“
Ricardas Augen wanderten unruhig umher. „Nicht hier und nicht jetzt. Ich komme später im Bungalow vorbei, dann erzähle ich dir alles“, flüsterte sie.
5.
Kurz nach Paula tauchte Ricarda im Bungalow auf. Sie huschte ins Zimmer, schloss die Fensterläden und löschte einige der Lampen. Paula sah ihr interessiert zu.
„Du sitzt hier wie in einer Schaufensterauslage“, erklärte Ricarda. „Das würde mir gerade noch fehlen, dass mich Kandin mit dir zusammen sieht. Und bei ihm weiß man nie, wann er wo herumschleicht.“
„Was ist denn los mit ihm?“, forschte Paula. „Er hat mir heute einen Besuch abgestattet und mir erklärt, dass ich ab sofort nirgends ohne Begleitung hingehen darf. Und dann sitzt du wortlos beim Abendessen, als ob er dir eine Standpauke gehalten hätte.“
Ricarda hatte sich auf die Bettkante gesetzt und schaute immer wieder unruhig zur Tür, als erwartete sie, dass diese jeden Augenblick aufgehen und Kandin das Zimmer betreten würde.
„Du hättest mir sagen müssen, dass du vorhast, die Anlage zu verlassen.“ Sie blickte Paula vorwurfsvoll an. „Irgendwie hat Kandin herausbekommen, dass du allein losgezogen bist. Daraufhin ist er wütend zu mir gekommen und hat mir mit dem sofortigen Rauswurf gedroht, wenn so etwas noch einmal vorkommen sollte. Es ist ab sofort meine hochoffizielle Aufgabe, dich auf Schritt und Tritt zu begleiten und immer über deine Aktivitäten Bescheid zu wissen. Ich bin auf diesen Job angewiesen, Paula, und darum bitte ich dich, keine heimlichen Exkursionen mehr zu machen.“
Paula bedauerte, dass Ricarda wegen ihr in Schwierigkeiten geraten war. Sie wollte gar nicht wissen, was passiert wäre, wenn herausgekommen wäre, wo sie wirklich gewesen war. Andererseits ärgerte es sie, dass Kandin über jeden ihrerSchritte Bescheid wissen wollte. „Ich finde es sehr eigenartig, dass ich mich hier nicht frei bewegen kann. Das vermittelt mir den Eindruck, als gäbe es Dinge, die man vor mir verbergen will.“
„Da könntest du durchaus recht haben.“
Paula sah Ricarda irritiert an.
„Inwiefern?“
„Ist dir wirklich noch nichts aufgefallen?“
„Was meinst du? Wie schon gesagt, ich finde es eigenartig, immer von jemandem begleitet zu werden …“
„Nicht das. Hast du noch nicht bemerkt, dass hier im Bungalow Dinge anders liegen, als du sie zurückgelassen hast?“
Ungläubig runzelte Paula die Stirn.
„Du willst mir nicht ernsthaft weismachen, dass es Leute gibt, die in meinen Sachen herumschnüffeln? Aus welchem Grund sollte jemand so etwas tun?“
„Zum Beispiel, um zu kontrollieren, welche Kontakte du hast. Ob du etwas herausgefunden hast, was du nicht wissen und vor allem nicht weiterverbreiten solltest.“
Paula fielen die Unterlagen ein, die sie in die Schublade gestopft hatte, als Kandin sie im Bungalow mit seinem Überraschungsbesuch beehrt hatte. Auch die verschwundene Visitenkarte passte grundsätzlich gut in dieses Bild. Paula war skeptisch, ging aber dennoch zur Kommode und sah nach, ob die Kopien der Zeitungsausschnitte noch da waren. Alles lag, wie sie erwartet hatte, an seinem Platz. „Es tut mir leid, aber ich kann solche Anschuldigungen nicht ohne Beweise glauben“, wandte sie sich an Ricarda.
„Mir ging es ebenso. Aber als ich Mehl in meinem Bungalow verstreute, hatte ich den Beweis. Wer es war, weiß ich bis heute nicht, aber es waren die Fußspuren eines Mannes.“
Paula fröstelte. Die Vorstellung, dass jemand in ihren Sachen herumschnüffeln könnte, war für sie unerträglich.
„Wenn du mir nicht glauben willst, dann probiere es doch selbst. Ich bringe dir morgen früh Mehl mit. Du musst nur im Eingangsbereich eine hauchdünne Schicht auftragen,
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