SCHLANGENWALD
eingeschaltet hatte.
Das Büro wirkte genauso wie bei ihrem ersten abendlichen Besuch und auch die Kamera war wieder bereit. Wie viele Stunden konnte so ein Gerät aufzeichnen? Paula musste zugeben, dass sie keine Ahnung hatte. Sicher wusste Clea eine Antwort.
Paula setzte sich wieder in Kandins bequemen Stuhl und startete ihren Laptop. Davor hatte sie sich vergewissert, dass nicht eine zweite Videokamera montiert war, die Aufnahmen von ihrem Bildschirm machen konnte. Paulas Paranoia trieb mitunter seltsame Blüten. Doch wie der Nachmittag gezeigt hatte, übertraf die Realität oft jede noch so tollkühne Fiktion.
Sie rief ihre Nachrichten ab. Es waren diesmal nur zwei: eine von Santo und eine von Kurt. Santo fragte nochmals an, ob sie nicht doch Lust hätte, ein weiteres hochinteressantes Projekt zu übernehmen. Paulas Antwort war kurz und bündig: nein, danke. Sie bat ihn, das Projekt an jemand anderen zu vergeben.
Noch vor zwei Wochen wäre ihr diese Entscheidung nicht so leicht gefallen. Aber mit der physischen Entfernung von ihren Problemen hatte sie auch einen emotionalen Abstand von ihnen bekommen. Plötzlich kamen ihr viele Sorgen, die sie sich vor der Abreise gemacht hatte, banal vor, finanzielle wie private. Außerdem winkte ihr ein saftiges Honorar, sobald sie das Projekt hier zu Ende gebracht hatte.
Die E-Mail von Kurt hatte mehrere Dokumente im Anhang. Alles Ergebnisse seiner Recherchen über die Firma Qualistant Ltd. Gerade als Paula die Dateien durchlesen wollte, registriertesie aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Fenster. Als sie hinsah, war jedoch nichts zu sehen. Dennoch überlief sie eine Gänsehaut.
Es war ihr unangenehm, dass jeder, der draußen vorbeiging, sie beobachten konnte, während umgekehrt nur die spiegelnde Glasscheibe vor der Schwärze des Parks zu sehen war. Sie hatte diesmal vergessen, die Außenbeleuchtung des Bungalows einzuschalten. Paula war die Lust vergangen, weiterhin im Büro zu sitzen. Sie druckte Kurts Mail aus und eilte zum Bungalow zurück. Sie war nun noch hungriger, hatte aber keine Lust, ins Vista Mar zu gehen. Stattdessen verschlang sie die zwei Bananen, die, mit braunen Flecken übersät, vom Reiseproviant übrig geblieben waren. Ein alter Müsliriegel, der sich in der Tiefe ihres Rucksacks fand, diente als krönende Nachspeise. Bald darauf lag sie im Bett und las die Artikel, die Kurt für sie recherchiert hatte.
Qualistant Ltd. war ein internationales Firmenimperium mit Sitz in Vancouver, dessen Struktur sehr verästelt war. Es bestand aus zahlreichen Tochter-, Schwester- und Subfirmen, die unter eigenen Namen registriert und wiederum mit anderen Firmen vernetzt waren. Unter den verschiedenen Geschäftszweigen gab es mehrere Immobilienfirmen, Versicherungsgesellschaften, Tourismusunternehmen, eine Bank und sogar einen Radiosender.
Paula fragte sich, wo Kurt all diese Informationen aufgetrieben hatte. Dann widmete sie sich Blancos Unterlagen.
Vierzehn
Samstag
1.
„Habe ich dich geweckt?“ Ricarda stand am nächsten Morgen vor Paulas Tür. Frisch und munter und mit einem großen Rucksack. Paula konnte Leute, die schon in aller Herrgottsfrüh fit und fröhlich waren, nicht ausstehen. Zumindest nicht, wenn sie selbst gerade erst aufgewacht war.
„Wollten wir uns nicht etwas später treffen?“, murmelte Paula schlaftrunken.
„Noch später? Es ist bereits neun.“
Ein Blick auf den Wecker bestätigte Paula die Uhrzeit. Sie forderte Ricarda auf, im Bungalow zu warten, bis sie fertig war. Hastig sammelte sie die auf dem Boden liegenden Papiere auf und steckte sie in eine Schublade.
„Meine indianischen Fähigkeiten sind doch nicht so gut, wie ich dachte“, plauderte Ricarda munter weiter. „Es ist mir gestern nicht gelungen dich aufzuspüren. Wo hast du bloß gesteckt?“
Paula lächelte sie an und ging ohne zu antworten ins Badezimmer. Sie wollte Ricarda nicht anlügen, aber auch keinesfalls verraten, wo sie gewesen war.
„Und wohin wird unsere Reise heute gehen?“, versuchte Paula vom Thema abzulenken, als sie zurückkam.
„Ich denke, wir fahren über Tamarindo und Filadelfia in Richtung Liberia . Auf der Strecke gibt es zahlreiche Straßenverkäufer, Indios, die handgearbeitete Waren anbieten. Vielleicht findest du ein Souvenir für zu Hause. Sie haben kleine Töpfereiwaren, wunderschöne Polsterbezüge, Decken, Kleider und vieles mehr.“
Die Vorstellung, bald auf Einkaufstour zu gehen, gefiel Paula. Grund genug, vor der Reise noch ein
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