SCHLANGENWALD
Frage kam oder nicht. Die Tatsache, dass sie von Santo überrollt wurde, missfiel ihr immer noch. Sie wollte selbst entscheiden,wo es langging. Zwei Wochen Mittelamerika hatten allerdings auch ihren Reiz, vor allem bei ordentlicher Bezahlung. Die Reise bot ihr die Gelegenheit, das Minus auf ihrem Konto in ein kräftiges Plus zu verwandeln und darüber hinaus ein ihr unbekanntes Land auf sehr angenehme Art und Weise kennenzulernen.
„In Ordnung. Ich mache es.“ Hatte sie das eben laut gesagt?
Santo sah sie überrascht an, dann wanderten seine Mundwinkel hinauf bis zu den Ohrläppchen. Offensichtlich hatte er sich auf eine harte Diskussion mit Paula eingestellt. Es wäre nicht ihre erste gewesen.
„Großartig. Dann treffen wir uns nächste Woche und besprechen das Finanzielle. Du bekommst alle Kontakte und Informationen, die du brauchst, damit du dich mit den zuständigen Leuten in Verbindung setzen kannst. Ich gebe ihnen sofort Bescheid, dass du die Angelegenheit übernimmst und sie schon mal die nötigen Vorbereitungen treffen sollen.“
Santo grinste über das ganze Gesicht. Er war sichtlich Feuer und Flamme. Doch plötzlich surrte sein Handy. Ein Blick auf das Display schien ihn an etwas zu erinnern. Paula kombinierte: Es war Freitag, bald drei Uhr nachmittags. Wahrscheinlich wartete seine Frau schon mit den gepackten Koffern auf ihn, damit sie mit der ganzen Familie ins Wochenendhaus im Burgenland fahren konnten. Santo hatte sie und Markus einmal dorthin eingeladen. Offiziell, weil sie ein sehr heikles Projekt äußerst erfolgreich für die Agentur abgeschlossen hatte. Doch Paula war sich sicher, dass er seiner Ehefrau vor allem demonstrieren wollte, dass Paula für ihn nur eine kompetente Mitarbeiterin war, die obendrein einen festen Freund hatte. So abgebrüht und dominant Santo im beruflichen Umfeld war, bei ihm zu Hause gab seine bessere Hälfte den Ton an. Noch nie hatte Paula den „heiligen Boss“, wie Santo scherzhaft in der Agentur genannt wurde, so zahm erlebt.
„Ich muss leider zu einem wichtigen Termin“, entschuldigte er sich. „Vielen Dank, Paula. Ich weiß deinen Einsatz sehr zu schätzen. Du wirst die Entscheidung nicht bereuen.“
Paula winkte ab. So viel Sanftmut passte nicht zu ihrem Chef.
„Vielleicht kannst du dich am Wochenende schon einmal über Land und Leute informieren?“
Paula musste grinsen. Das war der Santo, den sie kannte.
Als sie hinaus auf die Straße trat, empfing sie ein blauer Himmel. Sie konnte es nicht fassen, dass sie spontan zugesagt hatte, eine zweiwöchige Reise nach Costa Rica anzutreten.
2.
Paula war froh, endlich nach Hause zu kommen. Kurt saß im Wohnzimmer und studierte einen dicken Wälzer. Wie immer war er ein erfreulicher Anblick. Was für ein Pech für die Frauenwelt, dass ein so gut aussehender und intelligenter Mann wie Kurt schwul war. Für Paula war es ein Glück. Seit über einem Jahr lebten sie in einer gut funktionierenden Wohngemeinschaft. Das war länger, als sie mit Markus, ihrem Freund, liiert war. Mit Markus hatte sie noch nie mehr als zwei Urlaubswochen so eng wie mit Kurt zusammengelebt, und bislang hatte sie auch noch nicht das Bedürfnis verspürt, daran etwas zu ändern.
Für Paula war Kurt der ideale Mitbewohner. Er war zu einem ihrer besten Freunde geworden, dem sie alles erzählen konnte, ob es ihn nun interessierte oder nicht. Darüber hinaus schätzte sie seine Intelligenz, seine Kombinationsgabe und seine schier unendliche Geduld. Zudem hatten sie seine monatlichen Mietzahlungen in den letzten Monaten über Wasser gehalten.
„Hallo Paula, ich dachte, du kommst erst später. Möchtest du im Wohnzimmer arbeiten?“, begrüßte er sie. Normalerweise war er es, der spät in der Nacht von der Kanzlei heimkam, in der er seit einiger Zeit als Rechtsanwaltsanwärter arbeitete. Als hätte er Paulas Gedanken gelesen, ergänzte er: „Mein Team hatte heute einen erfolgreichen Vertragsabschluss, der mit einem Mittagessen und einem freien Nachmittag belohnt wurde.“
Dann hatte also nicht nur Paula feudal gespeist. Wenn Kurt von seinen Geschäftsessen erzählte, lief ihr immer das Wasser im Mund zusammen. In seinem Fall tat es nie der Wirt um die Ecke. Die meisten Juristen, vor allem jene in den großen Wirtschaftskanzleien, hatten ganz offensichtlich einen Hang zum Exklusiven: schicke Lokale, stilvolle Büros, attraktiveEmpfangsdamen, sehen und gesehen werden. Kurt war da eine Ausnahme mit seinem Untermietzimmer und dem
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