Schlecht aufgelegt (German Edition)
man ja nicht alle Tage, da konnte man schon mal ein bisschen den Wortschatz verlieren.
Kuli hob ein zerbrochenes Weinglas auf. «Und du hast uns nicht gehört, wir dich aber.» Er stellte den Stiel auf dem Tisch ab. Lisa Gerhard schien jetzt etwas kapiert zu haben. Sie versuchte aufzustehen, was nicht sofort klappte. Als Kuli ihr helfen wollte, machte sie eine so abwehrende Geste, dass er drei Schritte zurückwich.
«Wieso die Auskunft?», fragte sie. «Ich hab auf die Kurzwahl der Bullen gedrückt!»
«Nein», sagte Kuli.
«Doch», beharrte sie.
«Knapp daneben», sagte Paul.
«Warum habt ihr die Bullen denn dann nicht gerufen, ihr Idioten? Jetzt ist es zu spät.»
«Mein Kollege hier, der ist neu …», fing Paul an, wurde aber von Lisa Gerhard unterbrochen.
«Was? Neu?», schrie sie. «Was ist denn das für eine Scheiße?»
Sie warf mit dem abgebrochenen Stuhlbein nach ihnen, traf aber bloß den Türrahmen, dem das jetzt auch egal war.
«Du hast da Blut», sagte Paul und bemühte sich weiterhin, deeskalierend zu wirken. Das war der Schock, da musste man drüber hinwegsehen, da musste man Ruhe ausstrahlen, Souveränität und Gleichmut demonstrieren.
Lisa Gerhard sah ihn feindselig an. «Ich bin hingefallen», antwortete sie und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Paul lachte kurz auf und verlor seinen mühselig hergestellten Gleichmut sofort wieder. Wie lächerlich war das denn?
«Du bist also hingefallen, gegen die Wand, ja?», fragte er. «Gegen den Spiegel bist du gefallen, hast dabei die Bilder runtergerissen, das Sofa umgeschmissen, den Stuhl zerbrochen, in den Fernseher getreten, die Gläser vom Tisch gefegt und bei der Suche nach einem Pflaster deine Schubladen durchwühlt und auf dem Boden verteilt. Das war aber mal ein Sturz, war das. Die Mutter aller Stürze war das.»
Lisa Gerhard hob trotzig den Kopf. «Das geht dich ja wohl einen Scheißdreck an, wie und wohin ich falle.»
Paul hob beschwichtigend die Arme. Souveränität und Gleichmut. «Kann sein. Aber das ist ganz schön viel Blut. Und ich glaube, die Nase ist gebrochen.»
Er hatte medizinisch gesehen nicht viel Ahnung, aber dass die Nase zum Fenster zeigte, während Lisa Gerhard in ihre Richtung schaute, das schien ihm definitiv nicht korrekt zu sein.
Bei Kuli hatte es währenddessen Klick gemacht. «Tatsächlich. Der Fernseher ist ja kaputt», sagte er schockiert und näherte sich vorsichtig dem überdimensionierten Gerät. Der LCD-Bildschirm hatte in der Mitte einen ziemlich großen Sprung.
«Können wir dir denn jetzt noch irgendwie helfen?», wollte Paul wissen und strafte Kuli mit einem verächtlichen Seitenblick, den dieser nicht registrierte.
«Ihr hättet mir helfen können, wenn ihr rechtzeitig die Polizei gerufen hättet. Jetzt ist das auch zu spät», antwortete Lisa Gerhard. «Wofür hab ich denn die Scheiß- Vermittlung auf Kurzwahl?»
Die legt sich das zurecht, wie sie es braucht, dachte Paul.
«Der Fernseher …», sagte Kuli wie in Trance.
«Können wir ja noch machen», sagte Paul und schüttelte ärgerlich den Kopf. «Außerdem dreht sich das jetzt langsam im Kreis. Und du brauchst einen Arzt.»
«Brauch ich nicht. Mach ich selber. Verschwindet», antwortete sie.
«Fünfundfünfzig Zoll. Hundertvierzig Zentimeter Bilddiagonale …», staunte Kuli.
Paul wurde das jetzt alles zu bunt. «Dir hat doch einer auf die Schnauze gehauen, oder?», fragte er. «Wir haben das gehört. Wer war denn das? Wir können den anzeigen. Oder … Zeuge sein. Wie hieß der? Henning?»
Lisa Gerhard mauerte weiterhin so, dass nicht einmal die spanische Fußball-Nationalmannschaft einen Weg durch die Deckung gefunden hätte. «Geht dich nichts an.» Sie zeigte mit der blutenden Hand zur Tür.
«Nee, sieht aber nicht gut aus», meinte Paul und zeigte seinerseits auf Lisa Gerhards Hand.
Für einen Moment trat etwas Verletzliches in ihr Gesicht. «Kenne ich schon», sagte sie leise. «Kenne ich schon.»
Dann fing sie erneut an zu weinen.
«Ich hab da in Dortmund einen Techniker, der kann da vielleicht noch was machen», versuchte Kuli zu trösten. «Es gibt auch schon ganz günstige Geräte, die kann man online …», fügte er hinzu, aber Paul fuhr ihm über den Mund.
«Jetzt hör doch mal mit dem Scheiß-Fernseher auf», schimpfte er.
«Wieso denn? Der ist kaputt. Ich will doch nur helfen. Weißt du, was so ein Gerät kostet?»
«Verpisst euch, alle beide!!», schrie Lisa Gerhard und fasste sich an den Kopf.
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