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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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sich.
    «Ich such keinen Freund, okay?»
    «Okay», sagte Kuli und grinste und nickte.
    Paul drehte sich endgültig ab und ging in Richtung Hardenbergstraße. Er schaute kein einziges Mal zurück, aber er war sich sicher, dass Kuli immer noch grinste und nickte, als er längst außer Sichtweite war

    T atsächlich dauerte es einen Moment, bis Kuli reagierte. Dann aber fiel sein Grinsen in sich zusammen. Das hatte er sich irgendwie leichter vorgestellt in einer Stadt wie Berlin. Da waren so viele Menschen, so unterschiedliche Menschen, da konnte es doch nicht so schwer sein, Fuß zu fassen, Anschluss zu finden oder wenigstens mal ein Lächeln. Stattdessen hatte er einen Job, der nicht im Entferntesten irgendetwas mit Musik zu tun hatte, einen Kollegen, der ihn offensichtlich nicht mochte, und die einzige Person, die er bislang außerhalb des Call-Centers kennengelernt hatte, hatte ihn soeben wüst beschimpft und dabei geblutet. Ein guter Anfang war das nicht.
    Egal. Er verscheuchte die negativen Gedanken wie einen lästigen Mückenschwarm. Eigentlich ging es ihm doch gut. Er hatte immerhin überhaupt einen Job, und er musste weder im Dreck herumkriechen noch sich von unfähigen Vorgesetzten beschimpfen lassen. Obwohl, dieser Kletzke … aber das kannte er wenigstens schon, damit konnte er umgehen, das würde ihm die Laune nicht verderben. Und zu Hause warteten seine Schallplatten auf ihn.
    Er machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Es war nur eine Station, aber er hatte genug vom Laufen. Heute Abend würde er sich besonders viel Mühe geben, den passenden Soundtrack zu finden, vielleicht etwas aus den 80ern, das hatte so etwas Heimeliges, obwohl er den sterilen Klang dieses Jahrzehnts aus musikästhetischen Gründen eigentlich verabscheute. Aber das war für ihn wie zurück ins Elternhaus zu kommen: Wohnen wollte man da nicht mehr, und der Pflaumenkuchen war immer ein wenig zu süß, aber weil er das schon seit der Kindheit war, liebte man diesen Pflaumenkuchen trotzdem. Und wenn man zu Besuch war, wollte man genau den und keinen anderen, und wehe, das Rezept war verändert worden. Zumindest stellte er sich das so vor, in Wirklichkeit hatte es in seinem Elternhaus nie Pflaumenkuchen gegeben.
    David Bowie? The Smiths? Hüsker Dü?, überlegte Kuli. Nein, deutsch: Ideal. Vielleicht was von Ideal, das hatte Schärfe, Haltung, das hatte Stil. Genau, er würde sich etwas von Ideal gönnen, Monotonie zum Beispiel oder Blaue Augen . Auf keinen Fall Eiszeit . Vielleicht Berlin . Wäre ja passend. Dazu eine schöne Fertig-Pizza, vorzugsweise Hawaii, und anschließend einen Abenteuer-Film, am besten auch aus den 80ern, vielleicht mal wieder den Jäger des verlorenen Schatzes . Kuli wurde warm ums Herz, als er daran dachte. Leichten Fußes stieg er erneut Treppenstufen hinab, die Stufen zur U-Bahn – hinunter in den Keller Berlins.

    P aul saß im vollbesetzten Bus auf dem Behindertenplatz und hatte nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. In dieser Stadt war sich jeder selbst der Nächste, da musste man sehen, wo man blieb, und wenn jetzt jemand ohne Bein oder mit ohne Arm einstieg, dann würde er schon aufstehen, dann wäre er natürlich nicht so. Für die Dicken, Alten und Miesepetrigen, die um ihn herum die Luft verpesteten, stand er jedenfalls nicht auf. Er hatte schließlich einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich, heute besonders, und den Dicken und Alten konnte es nur guttun, mal ein wenig zu stehen.
    «Entschuldigen Se bitte», erhob sich plötzlich die Stimme einer Frau. Niemand blickte auf. «Ich bitte nur um einen Moment von ihrer Aufmerksamkeit ich bin obdachlos und habe sehr großen Hunger Sie würden mir einen großen Gefallen tun wenn Sie mich mit dem Kauf der Obdachlosenzeitung oder einer kleinen Spende unterstützen würden vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit», leierte sie ihren Spruch herunter. Paul blickte auf. Die Frau war eigentlich noch ein Mädchen, vielleicht achtzehn, so genau war das nicht zu sagen, weil das Heroin ihren Alterungsprozess beschleunigt hatte. Ihre Augen hingen auf Halbmast, sie hielt sich notdürftig an einer Stange fest. Ihre Vorderzähne fehlten, die Kleidung war seit Ewigkeiten nicht gewaschen worden und viel zu warm für die Jahreszeit. Wie lange war die wohl schon ein Junkie? Paul tat das Mädchen augenblicklich leid, auf eine Weise, die ihn schmerzte, und er hasste sie dafür, dass sie ihn mit ihrem Unglück konfrontierte, und er hasste die Stadt dafür, dass sie so etwas

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