Schlecht aufgelegt (German Edition)
sofort. Und ganz zarte, langgliedrige Finger hatte die. Und keinen Nagellack auf den Fingernägeln. Paul konnte Nagellack nicht ausstehen. Vor allem den Geruch von frischem nicht. Und sie hatte sich seinen Nachnamen gemerkt! Und sie sah überhaupt nicht aus wie Marina!
« Ich habe übrigens gegoogelt», lächelte sie. «Über Sie findet man rein gar nichts im Internet, Herr Uhlenbrock. Ungewöhnlich.»
«Enttäuscht?», fragte er grimmig.
«Man wird sehen», antwortete sie. «Sie hätten sich ruhig schon mal die Karte geben lassen können. Wir haben ja nicht den ganzen Abend Zeit.»
«Ich dachte, es wäre Ihnen vielleicht lieber, dass ich auf Sie warte», erwiderte Paul. «Manieren und so, haben Sie ja vielleicht schon von gehört. So aus der Ferne.»
«Möchten Sie denn schon etwas zu trinken oder die Speisekarte?», fragte die junge Frau mit den brünetten Haaren, die urplötzlich neben ihnen aufgetaucht war.
«Moment», sagten Paul und Sophie Müller gleichzeitig, ohne den Blick voneinander zu nehmen. Die Kellnerin lächelte, aber das konnte Paul nur vermuten.
«Gut, so wie die Dinge liegen, würde ich Folgendes vorschlagen», sagte Sophie Müller geschäftsmäßig und strich sich eine blonde Locke aus der Stirn, die auf wunderbare Weise so widerspenstig schien wie ihre Besitzerin. «Wir geben uns fünf Minuten. Wenn wir nach diesen fünf Minuten das Gefühl haben, wir langweilen uns oder irgendetwas ist falsch oder krumm oder steht einem netten Abend im Wege, dann sind wir nicht sauer aufeinander, sondern gehen einfach wieder unserer Wege. Zeit ist wertvoll und sollte nicht verschwendet werden, aber fünf Minuten kann ich verschmerzen.»
«Einverstanden», sagte Paul und war es ganz und gar nicht. Er war nicht gut darin, für sich und sein Leben zu werben. Was gab es da auch schon für Argumente? Frech und negativ durch die Gegend quatschen, das konnte er im Tiefschlaf. Aber ansonsten brauchte er Zeit, um sich zu entfalten. Und selbst dann klappte das meistens nicht. Marina hatte das wahnsinnig gemacht, damals.
«Gut», sagte Sophie Müller und kramte ihr Handy aus der großen, schwarzen Handtasche. «Oh Moment, das ist wichtig», sagte sie nach einem Blick auf das Display und beantwortete eine SMS, die ihr offensichtlich in der Zwischenzeit zugeschickt worden war. Für Paul bedeutete das einen geschenkten Moment zum Nachdenken. Eine Grundsatzentscheidung war zu fällen. Sich so gut verkaufen wie möglich oder die Wahrheit sagen? Was würde sie wohl machen? Auftrumpfen mit allen möglichen beruflichen Erfolgen? Ihre ach so großartige Karriere vor ihm ausbreiten? Ihn bewusst alt aussehen lassen? Nach seinem Lieblingsfilm fragen? Seinem Lieblingsgetränk? Nach dem, was er im Bett anhatte? Nach seiner politischen Einstellung? Ob er im Urlaub am liebsten Elefanten in Kenia beobachtete? Oder jagte? Und was sollte er bloß fragen? Er hatte keine Ahnung. Sophie Müller war fertig mit ihrer SMS und legte das Handy wie eine Eieruhr in die Mitte zwischen sie.
«Fünf Minuten ab jetzt», sagte sie.
«Ich habe eine fünfjährige Tochter», sagte Paul bar jeder Vernunft. «Sie lebt in Spanien, und das kotzt mich an.»
«Ich kann keine Kinder bekommen», antwortete Sophie Müller sachlich. «Und ich bin beruflich so viel unterwegs, dass ich sowieso keine Zeit dafür hätte.»
«Ich bin ungeduldig und schnarche», sagte er.
«Ich spreche im Schlaf», sagte sie.
«Und ich schlafe beim Sprechen. Zumindest während der Arbeitszeit», konterte Paul wie aus der Pistole geschossen. Sophie Müller lachte. Eins zu null für ihn. Dranbleiben.
«Ich arbeite in einem Call-Center, und ich hasse meine Arbeit, finde aber den Absprung nicht», fuhr er fort.
«Und ich arbeite in einer Casting-Agentur mit lauter aufgeblasenen Halb-Promis und halte das nur deshalb aus, weil ich genauso aufgeblasen bin. Zumindest tagsüber.»
«Ich kann die meisten Menschen nicht leiden. Eigentlich fast alle.»
«Ich treffe mich mit Ihnen, weil ich Ihnen das nicht glaube.»
«Und ich treffe mich mit Ihnen, weil es völlig undenkbar ist, dass aus dieser Begegnung etwas halbwegs Sinnvolles wird, und weil das meinen Hass auf die Menschheit nur noch steigern wird.»
«Ich hasse nichts so sehr wie Dosensuppe.»
«Okay, aber Dosensuppe kann einen wenigstens nicht anrufen.»
«Ich liebe alte europäische Filme von Buñuel oder Godard.»
«Von mir aus. Hauptsache, es wird geschossen.»
Sophie Müller lachte erneut. Das lief ja wie nix Gutes.
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