Schlecht aufgelegt (German Edition)
mal auf die Idee kommen, dass gar nicht du derjenige bist, der Hilfe braucht. Oder zumindest nicht der Einzige.»
«So habe ich das noch nicht betrachtet», sagte Kuli und brauchte eigentlich ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken.
«Solltest du aber mal. Okay, einen Tipp gebe ich dir noch. Einen einzigen, also hör gut zu», sagte Ralf.
Kuli nickte, obwohl er wusste, dass das vollkommen sinnlos war.
«Wenn du schon mit so einer Scheiße anfängst, werde aktiv und zieh es durch.»
«Das rätst du mir?», fragte Kuli und staunte jetzt wirklich.
«Lass dich nicht einschüchtern, sonst gehst du unter», bekräftigte Ralf, ohne auf Kulis Spitze einzugehen. «Ich würde hier keine einzige Kampagne gewinnen, wenn ich immer nur darauf warten würde, was die Bots machen. Die sind stärker als ich, aber ich habe mein Gehirn. Und die Bots sind nur programmiert. Also wehre dich und gewinne dein Spiel.» Ralf schniefte, und die Pausenmusik wurde wieder durch Kampfgeräusche ersetzt. Ein Zeichen für Kuli, dass Ralf ihr Gespräch als beendet betrachtete.
«Warum schniefst du eigentlich immer so?», wollte Kuli wissen.
«Ich hab dir doch gesagt, ich habe Probleme. Scheiße!», sagte Ralf und legte auf.
Kuli drückte ebenfalls auf die rote Taste. Er dachte an die Zeiten zurück, als sie sich am Ende eines Gesprächs ganz normal voneinander verabschiedet hatten – es schien eine Ewigkeit her zu sein. Aber wenn man all die Sentimentalitäten beiseiteließ: Ralf hatte vielleicht doch irgendwie recht. Das Zurückziehen in ein Hotel der unteren Unterklasse war vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss. Vielleicht war es ja wirklich so, vielleicht kam er aus der Nummer ja wirklich erst wieder raus, wenn er den großen, schwarzen Magier besiegte, obwohl er nur ein kleiner Bauernjunge ohne jegliche Fähigkeiten war. Denn so endeten solche Geschichten doch immer: Das Böse verlor, obwohl es unbesiegbar war, das Gute gewann, obwohl es keine Chance hatte. So war das. Er machte das Licht wieder an und schlüpfte in seine Schuhe. Ihm fiel auf, dass er Hunger und Durst hatte. Er musste das Hotel auf jeden Fall verlassen, nach außen treten, aktiv werden. Ein Restaurant kam nicht in Frage, er war nicht in der Stimmung, Dönerbude war im Moment auch irgendwie negativ besetzt. Also: Ein Supermarkt tat’s auch.
P aul bezahlte Wassili weitere zwanzig Euro und schmiss die Taxitür zu. Der Russe hatte sich trotz des mangelnden Trinkgeldes vorhin über das Wiedersehen mit seinem Fahrgast gefreut; er wäre halt noch in der Nähe gewesen, deshalb hatte die Taxi-Zentrale ihn zurück zu Paul geschickt. Paul war nicht ganz so begeistert gewesen, dafür wusste er jetzt, dass Wassili schon drei Mal verheiratet gewesen war und an Berlin am meisten mochte, dass es so einfach war, an Frauen ranzukommen. Und dass er jede Nacht mit einer anderen schlafe. Paul hatte das müde, vom Nikotin und Leben gezeichnete Gesicht des dickbäuchigen Kilometerfressers betrachtet und sich seine eigenen Gedanken dazu gemacht. Vollends aus dem Häuschen war Wassili dann, als er erfuhr, dass sie in die Kandinskystraße fahren würden zu einem Restaurant namens Kandinsky, denn auch Kandinsky hätte ja Wassily geheißen, nur mit Y statt mit I, und Paul solle das als gutes Omen betrachten, und wenn er sich dort mit einer Frau träfe, wäre das ein Zeichen für viel guten und außergewöhnlichen Sex am selbigen Abend. Zum Abschied gab der Wassili mit I Paul noch seine Visitenkarte und bat darum, dass Paul ihn am späteren Abend ruhig noch einmal anrufen könne; er würde ihn und seine weibliche Begleitung dann abholen, und sie könnten bei ihm im Auto dann ruhig schon einmal anfangen mit dem Sex, dann hätte er auch noch etwas davon.
Paul bedankte sich seufzend und betrat das Kandinsky. Ein edles Restaurant war das. So edel, dass sich Paul schlagartig unwohl fühlte. Ein Restaurant für Banker und Manager, für Kulturschaffende und Politiker, für Medienleute und Wichtigtuer. Vier Marmorsäulen stützten den riesigen Speiseraum, der bewusst schlicht gehalten war. Unzählige Kellner in schwarz-weißer Robe und mit weißer Serviette über dem Arm eilten zwischen den Tischen hin und her und bedienten mit erhobener Nase Anzugträger allen Alters. Für Paul hieß das winzige Portionen und riesige Kosten, und er verfluchte seinen exzessiven Taxiverbrauch des Tages. Ob er Martin Schulte noch einmal anrufen sollte? Nein, das ging nicht, irgendwann war auch mal gut. Er
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