Schlecht aufgelegt (German Edition)
keinen Fall!», erklärte Kuli erschrocken. Er schaute den Blinden von der Seite an und versuchte, irgendeine Regung zu erhaschen. Ergebnislos.
«Doch. Ich rieche Ihren Schweiß, wenn Sie davon erzählen. Ich glaube, Sie erpressen diesen Politiker und sind damit überfordert. Da vorne ist das, was ich will», sagte der breitschultrige Hüne und zeigte auf eine Palette mit Getränken. Kuli schob jetzt den Wagen, in seinem Kopf rotierte es. Warum konnte er bloß seine Klappe nicht halten? War das jetzt gut oder schlecht, dass der das alles wusste? Ein faszinierender Typ war das. Sollte er ihn um Rat fragen?
«Ich weiß nicht, ob ich Sie um Rat fragen soll», sagte er also, um Platz in seinem Kopf zu schaffen.
Der Mann lächelte ein buddhahaftes Lächeln, das eigentlich Kuli für sich reserviert hatte, und fuhr sich mit der rechten Hand durch die Bartstoppeln. Als sich der Ärmel zurückschob, sah Kuli eine Tätowierung auf dem Unterarm. Ein aufrechter Schwan, der von einem Schwert durchbohrt wurde.
«Es ist immer gut, einen Rat von einem älteren Mann anzunehmen», sagte er. «Eine Flasche Cola, bitte.»
«Firma?», fragte Kuli.
«Egal», sagte der Mann. «Sieht für mich alles gleich aus.»
Kuli legte eine Cola der hauseigenen Billig-Marke in den Einkaufswagen. Der Blinde hatte bestimmt nicht so viel Geld. Für sich selbst nahm er eine große Flasche Spezi.
«Mehr brauche ich nicht», sagte der Mann dann.
«Ich brauch noch eine Zahnbürste», erinnerte sich Kuli und bog in den Mittelgang ab, wo neben dem Tierfutter alles rund ums Bad einsortiert war.
«Und ein Deo wäre auch nicht übel, bei allem Respekt», ergänzte der Blinde höflich und folgte Kuli sicheren Fußes. Kuli griff kommentarlos nach einer blau-weißen Zahnbürste, einer homöopathischen Zahncreme für Kinder und einem Deo mit der Aufschrift ‹Fitness›.
«Haben Sie alles?», fragte der Mann.
«Ja», sagte Kuli und war für einen Moment versucht, seine Nase in die Achselhöhle zu stecken, um zu überprüfen, ob er wirklich so streng roch. Ihm war das gar nicht aufgefallen.
«Wir können also zur Kasse», schlussfolgerte der Blinde, machte den ersten Schritt und wusste offenbar schon wieder genau, wie er dorthin kam. «Und ich gebe Ihnen gerne einen Rat. Schon als Dank, dass Sie mich begleitet haben.»
Sie schritten schweigend den Rest des Ganges entlang, vorbei an Bierkästen und einer kleinen Auswahl an Zeitschriften, bogen kurz nach links ab und standen auch schon vor der Kasse. Die Verkäuferin ließ sich in ihrem sicherlich spannenden Artikel rund um das schwedische Königshaus erst stören, als Kuli zu guter Letzt auch die Cola und das Spezi auf das Band gelegt hatte. Bei den Birnen hatte er entgegen sonstiger Gewohnheiten aufgepasst, nicht eine einzige war zu Boden gefallen.
«Guten Abend», sagte die Verkäuferin routiniert und brachte das Band in Fahrt.
«Schönen guten Abend», sagte Kuli und lächelte sie an, wie er jeden Menschen grundsätzlich anlächelte, der noch weniger verdiente als er selbst.
«Ich glaube, Sie sind ein feiner Kerl», sagte der Blinde und nahm zielsicher seine Cola vom Fließband, nachdem sie über den Scanner gezogen worden war. «Aber auch feine Kerle verrennen sich manchmal in Dinge, die nichts für feine Kerle sind.»
Kuli bezahlte den lächerlich niedrigen Kaufbetrag, packte seine Einkäufe auf einen herumliegenden Pappkarton und wünschte der Verkäuferin einen schönen Abend. Sie zuckte mit den Schultern und griff wieder nach ihrer Zeitung.
«Und weiter?», fragte er angespannt. Sie traten hinaus ins Dunkle. Zu hören war für einen Moment nur das unangenehme Rattern des Einkaufswagens auf Stein. Der Blinde wartete, bis Kuli ihn in seinem Zwinger an der Kette befestigt und seine zwanzig Cent zurückhatte.
«Wenn Sie ein Goldfisch sind …», begann er dann.
«Ein Goldfisch?», fragte Kuli irritiert.
«Ein Bild.»
«Ach so.»
Der Blinde räusperte sich. «Wenn Sie ein Goldfisch sind und in einen Teich voller Piranhas geschmissen werden, dann können Sie der schönste Goldfisch der Welt sein, Sie werden nichts tun als schwimmen, schwimmen, schwimmen, um den Piranhas zu entkommen. Wahrscheinlich sind Sie dafür zu langsam, wahrscheinlich ist Ihr Tod schon in dem Moment Gewissheit, in dem Sie in den Teich geschmissen werden. Wahrscheinlich müssen Sie feststellen, dass ein Teich kein Meer ist, sondern ein geschlossenes System, aus dem es keinen Ausweg gibt. Sie können so schnell und so
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