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Schlecht aufgelegt (German Edition)

Schlecht aufgelegt (German Edition)

Titel: Schlecht aufgelegt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Stricker
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verspürte in diesem Augenblick tatsächlich so eine Art schlechtes Gewissen. Ach, verdammt, er würde es bei dem Schulte irgendwie wiedergutmachen und Schluss jetzt.
    Ein Robenträger wandte sich ihm zu. «Sie haben reserviert?», fragte er, und entweder Paul bildete es sich ein, oder da war wirklich ein leises Naserümpfen zu hören in seiner Stimme, so eine kleine gehässige nasale Vernichtung, weil Paul ohne Krawatte und Boss-Anzug da war, sondern einfach nur aussah wie ein Call-Center-Agent im frischen Hemd. Paul nickte bestätigend und hasste das Kandinsky schon jetzt, und er musste sich große Mühe geben, Sophie Müller nicht persönlich dafür verantwortlich zu machen. Wenn sie überhaupt kam. Der Robenträger dirigierte Paul zu einem Zweiertisch genau in der Mitte, was auch nicht gerade Pauls Vorliebe entsprach. Alle sonstigen Tische waren bereits besetzt, natürlich waren sie das, es war einundzwanzig Uhr, da standen sogar Leute am Eingang und warteten auf freie Plätze, Warteschlange war das, Restaurant-Rushhour. Die einzige Person, die noch nicht da zu sein schien, war Sophie Müller.
    Paul zog seine Jacke aus, hängte sie über den Stuhl und setzte sich. Eine junge, brünette und durchaus ansehnliche Dame mit Pferdeschwanz und in gleicher Schwarz-Weiß-Uniformierung wie die männlichen Kellner näherte sich ihm. «Möchten Sie vielleicht schon einen Blick in die Karte werfen oder einen Aperitif bestellen?», fragte sie höflich distanziert, und Paul überlegte, was da jetzt wohl angebracht sein mochte. Einerseits hatte er Durst und wusste ja nicht, wie lange er noch würde warten müssen, also konnte man sich ja ruhig mal ein Bier bestellen. Andererseits war das vielleicht sehr unhöflich und sah für Sophie Müller befremdlich aus, dass da nicht auf sie gewartet wurde. Wiederum andererseits sollte man sich ja so geben, wie man war, und es nicht nur dem Gegenüber recht machen wollen. Also was zu trinken bestellen, dachte Paul. Und das mit der Karte – das sah mit Sicherheit drängelig aus, wenn er jetzt schon eine oder gar zwei Karten für sich oder sie bestellte und die Karte da auf Sophie Müllers Platz liegen würde, wenn sie schließlich und vielleicht nur zwei Minuten nach ihm eintreffen würde. Das machte keinen guten Eindruck, so als hätte er sich keine Zeit für sie genommen oder wäre die Ungeduld in Person. Andererseits war Paul ein sehr, sehr langsamer Speisekartenleser und hasste es, übereilte Entscheidungen treffen zu müssen. Es war also vielleicht besser, sich erst mal ein wenig einzulesen, damit Sophie Müller hinterher nicht allzu lange auf ihn warten musste, sie hatte ja sicherlich auch Hunger, denn es war ja auch schon einundzwanzig Uhr, und wer da nach einem langen Arbeitstag keinen Hunger hatte, der litt unter Magersucht, und falls das bei Sophie Müller der Fall sein sollte, dann konnte man ja eh gleich wieder zahlen und gehen. Also die Karte, dachte Paul und hatte sich entschieden. Die junge, brünette Dame mit der Robe schien mittlerweile im Stehen eingenickt zu sein. «Nein», sagte Paul. «Nichts. Keine Karte.» Und: «Ich warte.» Die Kellnerin lächelte professionell und wandte sich ab. Paul widerstand dem Drang, die Deckchen und Messer und Löffel und Gabeln auf seinem Tisch neu zu sortieren. In welcher Reihenfolge aß man da jetzt? Von innen nach außen? Von außen nach innen? Ach, Scheiße: mit Messer und Gabel.

    K uli verließ das Hotel und überquerte nach einer Ewigkeit des Wartens an der verkehrsumtosten Bürgersteigkante die Straße nach schräg links. Er wäre dabei gerne so lässig geschritten wie John Travolta in Schnappt Shorty , fühlte sich aber eher schwer und wuchtig wie Chewbacca in Star Wars , nur war er leider nicht so groß und nicht so stark. Der mittlerweile sehr kräftige Wind ließ ihn frösteln. Seine Klamotten waren bestenfalls auf einen milden Herbstabend ausgerichtet; was hätte er für seine gefütterte Daunenjacke aus dem heimischen Kleiderschrank gegeben. Andererseits, so dachte er, wurde er ja vielleicht schon im nächsten Moment erschossen, da war das dann ja auch egal, was für eine Jacke er trug. Mir passiert nichts, mir passiert nichts, mir passiert nichts, wiederholte er in Gedanken immer wieder und wäre dabei fast von einem roten Kleinlaster überfahren worden, weil das Mantra seine Reaktionszeit doch gewaltig einschränkte. Kulis Jackett war aber auch wirklich dunkel, und die Autofahrer in Berlin dachten ja sowieso,

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