Schlechte Gesellschaft
wollte.
»Martha, es tut mir leid«, murmelte er. »Das muss alles seine Richtigkeit haben.«
»Hör auf«, schrie jetzt Kläre, die ganz blass geworden war. Ihre Augen starrten richtungslos. Ihr Haar wirkte spröde und ungepflegt. Linde hatte die Vahlen-Witwe noch nie so aufgelöst gesehen. »Ich weià genau, was dahinter steckt. Die wollen nicht, dass wir ihren schmutzigen Soldaten finden. Die nehmen uns Hagis weg, um uns einzuschüchtern. Wie lange kennen wir uns, Wilfried? Wie kannst du da nur mitmachen?«
»Von mir hängt gar nichts ab«, jammerte Linde. »Was soll ich denn tun?«
»Sag ihnen, wir lassen die Sache fallen«, rief Martha. »Sag ihnen, es ist uns egal, wer der Mann war. Sag ihnen, ich erinnere mich an nichts mehr. Und bitte sie, uns den kleinen Hagis zu lassen. Er hat ja nur uns.«
Neben Martha, die Linde weiterhin unverwandt ansah, war Kläre kraftlos auf dem Schemel zusammengesunken. Sie hatte sich abgewandt, ihr Rücken zuckte. Linde nickte langsam. Dann entschuldigte er sich noch einmal und verlieà eilig die Hüh.
Inzwischen war der Gemeindevorsteher endgültig davon überzeugt, dass die Amerikaner, so sehr sie das auch betonten, keine zivilisierten Menschen waren. Diese Kuhjungen mit den schlechten Manieren hatten sicher mehr als nur eine Frau aus dem Westerwald auf dem Gewissen. Jeden Tag fürchtete er um die Zukunft seiner eigenen Tochter. Das Dorf, dessen stetig wachsender Wohlstand vor dem Krieg sein ganzer Stolz gewesen war, schien dem Wilden Westen immer ähnlicher zu werden.
Zu Hause angekommen, lief Linde lange in der Stube auf und ab. Gemeinsam mit seiner Frau überlegte er, was er dem Dolmetscher Meyer sagen würde. Aber er brauchte sich nur dessen gleichgültigen Gesichtsausdruck vorstellen, um alles gleich wieder zu verwerfen. Dann dachte er sich aus, wie er die Witwen beschwichtigen könnte. Immerhin war Kläre ja selbst mit dem Jungen zu ihm gekommen, damit er seine Eltern fände. Lindes Frau war der Ansicht, die Witwen müssten das Kind eben hergeben. Alle anderen hatten ihre Hungermäuler schlieÃlich auch nicht behalten.
Abends konnte der Gemeindevorsteher nicht einschlafen. Er drehte und wendete sich im Bett herum, bis seine Frau ihn in die Gastwirtschaft schickte. Kaum war er in Brinks Schankstube angekommen, als Hermann Vahlen in den Raum trat, sich suchend umsah und dann gleich auf ihn zukam.
»Hast du es hingekriegt?«, fragte Vahlen. Offenbar wusste er bereits von Lindes Besuch bei den Witwen.
»Hermann, da ist nichts zu machen«, sagte Linde. »Koblenz ist schon eingeschaltet wegen des Kindes. Der Lieutenant will davon nichts wissen. Die Dinge nehmen ihren Lauf.«
»Und was ist mit dem Soldaten?«
»Der Schwarze sitzt immer noch. Einen anderen haben sie nicht. Aber das Militärgericht mussten sie einschalten. Das ist alles höchst unangenehm für Green.«
Hermann richtete sich drohend vor ihm auf. »Sag deinem Lieutenant, wir werden ihn höchstpersönlich vor Gericht bringen und seine gesamte Saubande dazu, wenn er meiner Mutter den Jungen wegnimmt.«
»Hermann. Das kann ich ihm nicht sagen. Das wäre unvernünftig. Die haben den Krieg gewonnen.«
Linde konnte es Hermann nicht verdenken, dass er wütend war. Niemand wusste besser als der älteste Vahlen-Sohn, der noch immer die Wucht des Kartätschengeschützes in seinem Bein spüren musste, wer den Krieg gewonnen und wer ihn verloren hatte.
Hermann Vahlen gehörte trotz seines Hinkens längst zu den wichtigsten Männern von Sehlscheid. Auch Linde hatte ihn häufig nach seiner Meinung gefragt, gerade in politischen Angelegenheiten. Hermann hatte als erster von der Erniedrigung gesprochen, die die Anwesenheit der schwarzen Soldaten für das Dorf bedeutete. Das Benehmen der Amerikaner auf dem Hof seines Schwiegervaters schien er mit erstaunlichem Gleichmut hinzunehmen. Aber von seiner Frau wusste Linde, dass Hermann Anweisungen gegeben hatte, Kartoffeln, Ãpfel, Speck und Saatgut zu verstecken. Und wenn Hermanns Emmy mit den grinsenden Fremden zu freundlich wurde, ermahnte er sie sofort.
Linde hatte Hermann gesehen an dem Tag, als er von Marthas Unglück mit dem Soldaten erfuhr. Die Neuigkeit hatte sich schnell herumgesprochen in Sehlscheid. Womöglich war es Lindes eigene Frau, die sich gleich nach dem Mittagstisch auf den Weg gemacht hatte, um die
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