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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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Herkunft erfahren.
    Der Doktorand zwang sich, weiterzudenken. Wenn Judith aber wirklich das Resultat eines Fehltritts war, wenn Gert Gellmann also Judiths Vater war – wie um Himmels Willen hatte Hella Vahlen es dann zulassen können, dass Judith mit ihrem eigenen Vater ein Kind zeugte?
Der Bulle (März 1919)
    Die Witwen wurden nie wieder bis zum Lieutenant Green vorgelassen. Die Angelegenheit gehe ihren Gang, ließ der Dolmetscher ausrichten. Sie müssten sich gedulden, bis ihnen das Ergebnis der Untersuchung mitgeteilt wurde.
    Im Gegensatz zu Green und Meyer wusste der Gemeindevorsteher Linde, wie im Dorf über Marthas Unglück getuschelt wurde. Ganz Sehlscheid, hieß es, träfe die Schande des Mädchens. Und wenn tatsächlich ein schwarzes Kind geboren würde, dann breitetesich die Schande über den gesamten Westerwald aus. Als Vater einer Tochter im heiratsfähigen Alter verstand Linde diese Ängste durchaus. Und auch er konnte sich nicht erklären, warum es so lange dauerte, bis sich die höheren Stellen der wichtigen Sache annahmen.
    Erst an diesem trüben Märzmorgen erfuhr der Gemeindevorsteher, dass die Besatzer sich zunächst eines anderen Falls angenommen hatten. Frühmorgens war der Brief aus Koblenz gekommen, in dem angekündigt wurde, dass der kleine Hans Gisbert demnächst von einer Beauftragten des dortigen Waisenhauses abgeholt werden würde. Etwas verwundert, denn Linde hatte diese Dienststelle nie wegen der Sache angefragt, zeigte er das Schreiben dem Dolmetscher. Und Meyer erzählte ihm mit einem zufriedenen Lächeln, dass es seine Idee gewesen war, die Akte des Hungermauls voranzutreiben, um die Frauen von der Hüh abzulenken, bis das Militärgericht in Marthas Fall entschied. Wieder einmal wünschte sich Linde, er wäre nicht ausgerechnet jetzt und in Sehlscheid Gemeindevorsteher. Denn er selbst würde den Witwen die Nachricht von Hagis’ bevorstehender Abholung überbringen müssen.
    Als er über den glitschigen Pfad die Hüh heraufkam, sah er Kläre Vahlen schon von weitem unter dem Vordach der Lehmhütte sitzen. Sie war dabei, mit Pflock und Hammer ein Rad des Leiterwagens auszubessern. Ihr einmal so hübsches Gesicht wirkte hart und eingefallen. Während der Schulzeit hatte sie sich über Linde lustig gemacht, weil er so dick war. Aber der Gemeindevorsteher war nicht nachtragend. Sie blickte kaum auf, als er vor ihr stehen blieb.
    Â»Haben sie ihn?«, fragte sie.
    Â»Da gibt es keine Neuigkeiten, leider. Es geht um etwas anderes. Ich dachte, ich sage es dir lieber gleich«, schnaufte Linde und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Der Stützpunkt in Koblenz hat sich gemeldet«, rief er wie aus der Ferne. »Die wollen Hagis nächste Woche in ein Waisenhaus bringen.«
    Â»Die wollen was?«
    Â»Es tut mir leid, Kläre. Sie haben die Eltern nicht finden können. Verlorene Kinder gehören nun mal in ein Waisenhaus.«
    Inzwischen war auch Martha, die Kläres erregte Stimme gehört haben musste, hinter der Scheune hervorgekommen. In der Hand hielt sie den Leib eines Kaninchens, dem sie das Fell abgezogen hatte. Das Haar fiel ihr in einem weichen Zopf über die Schulter. Die Schürze reichte bis zu den Knöcheln. Ihre immer zierlicher werdende Figur, die volle Brust zeichneten sich deutlich darunter ab. Wenn die mal nicht doch schwanger ist von dem Mohren, wiederholte Linde in Gedanken, was am Morgen seine Frau gesagt hatte.
    Im Dorf war man der Meinung, das Mädchen trage, wie damals ihre Großmutter, zumindest einen Teil der Schuld an ihrem Unglück selbst. In jedem Fall sei es leichtfertig von den Witwen gewesen, Martha allein in der Stube schlafen zu lassen mit einem Fenster, in das sie jeden einlassen konnte. Mehrfach war das Gerücht umgegangen, man habe bereits die Engelsmacherin auf die Hüh gehen sehen. Und die älteren Frauen pflegten dem hinzuzusetzen, dass es höchste Zeit war.
    Â»Aber Hagis ist kein verlorenes Kind«, riss Martha den Gemeindevorsteher aus seinen Überlegungen. »Er ist bei uns!«
    Marthas Blick ruhte mit großem Ernst auf Wilfried Linde, als wollte sie gegen die Gerüchte im Dorf, gegen die amerikanischen Besatzer und gegen das Leben an sich Haltung bewahren. Trotzdem erkannte Linde in ihren Augen einen deutlichen Schmerz, der zu ihrem schönen, noch so jungen Körper gar nicht passen

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