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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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zwischen Gellmann und Vahlen wurde darin nicht erwähnt. Er plante durchaus, ausführlich daraus zu zitieren. Doch dieser Teil war noch in Arbeit.
    Â»Sehen Sie, ähnlich steht es mit diesem unglücklichen Manuskript«, fuhr die Witwe fort. »Ich bin weit davon entfernt, Peter Vahlens Arbeiten für mich behalten zu wollen. Ich möchte lediglich keine unfertigen Fassungen in Umlauf sehen. Auch mein Mann hätte nicht gewollt, dass sein Bild in der Öffentlichkeit unter irgendwelchen posthumen Entdeckungen leidet.«
    Das Wort ›Entdeckungen‹ hatte sie betont, als wäre Wielands wissenschaftliche Tätigkeit an sich schon etwas Anrüchiges.
    Â»Ich verstehe«, beeilte er sich zu sagen, obwohl ihn der Ton der Witwe ärgerte. Wochenlang hatte er nicht nur sämtliche Manuskripte und Briefe, sondern auch Reisekostenabrechnungen, Zeitungsausschnitte und Versicherungsbriefe im Nachlass geordnet und aufgelistet. Nach all den Mühen meinte er, wenn schon kein Mitbestimmungsrecht, dann zumindest Anerkennung verdient zu haben.
    Â»Ich respektiere selbstverständlich Ihre Sorge um den Ruf der Familie«, sagte er. »Einiges in der Geschichte ist sicherlich delikat.«
    Die Witwe runzelte die Stirn. Sie schien ihn nicht zu verstehen. »Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, Herr Wieland, dass die Figuren und Ereignisse, die in Vahlens Texten beschrieben werden, der Wirklichkeit womöglich nahe kommen, doch in keinem Fall mit ihr übereinstimmen.«
    Â»Ja, so ist es.« Wieland begriff sofort, was die Witwe sagen wollte. Und er zweifelte nicht daran, dass ihr der kompromittierende Inhalt des Manuskripts bekannt war. »In der Literatur werden häufig reale Probleme behandelt, ohne dass eine direkte Verbindung zur Wirklichkeit hergestellt werden kann«, sagte er. »Aber gerade deshalb meine ich, dass man die Nähe des Autors zu seinem Werk nicht aus dem Blick verlieren darf.« Er machte eine kurze Pause, während der er die Witwe beobachtete. Hella Vahlens Blick blieb unbewegt.
    Â»Die Frage ist, wie die Westerwald -Fortsetzung, die uns meiner Meinung nach vorliegt, trotz der Indiskretionen im Text bewahrt und als Ganzes der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden kann. Niemand möchte private, sagen wir, Fehltritte im Manuskript erkennbar lassen. Ich habe mir überlegt …«
    Â»Wovon reden Sie?« Jetzt starrte die Witwe ihn regelrecht an. Ihre glatte Stirn, die gerade Nase, Hella Vahlens Gesicht wirkte wie eine Maske. Aber Wieland ließ sich nicht beirren.
    Â»Ich meine, es wäre legitim und auch nicht aufwendig, beispielsweise die Namen abzukürzen, damit sie von Außenstehenden keinen realen Personen zugeordnet werden können«, sprach Wieland weiter. »Wir müssten uns nur genau überlegen, wie wir solche Eingriffe für den Leser nachvollziehbar machen. Sie werden verstehen, dass ich als Wissenschaftler …«
    Â»Nein, nein, das meine ich nicht. Wovon haben Sie eben gesprochen? Sie haben etwas von ›privaten Fehltritten‹ gesagt. Worauf wollten Sie damit hinaus?«
    Die Neugier der Witwe war ganz offensichtlich gespielt. Wieland glaubte sogar, ein Lächeln um ihren Mund zu bemerken.
    Â»Ich meinte die Tatsache, dass Sie und Ihr Mann blutsverwandt waren«, sagte er schnell.
    Â»Wie bitte?« Hella Vahlen schien nun tatsächlich entsetzt. Trotzdem war Wieland ganz sicher, dass seine Entdeckung sie kaum überraschte. Wenn die Witwe den Umstand der Verwandtschaft mit ihrem Mann nicht gestehen wollte, der immerhin der wahrscheinlichste Grund für Judiths Behinderung war, dann musste er sie wohl oder übel mit seiner zweiten, noch skandalöseren Entdeckung konfrontieren.
    Â»Entschuldigen Sie. Ihr Verwandtschaftsverhältnis zu Ihrem Mann geht mich natürlich nichts an«, sagte er und hoffte, dabei süffisant zu klingen. »Vielleicht ist Peter Vahlen auch gar nicht Judiths Vater. Vielleicht ist es Gert Gellmann?«
    Wieder herrschte einen Moment lang Stille. Dann verzog sich das Gesicht der Witwe zu einem Lächeln: »Das ist also das Ergebnis Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?«, fragte sie. Und als Wieland nickte, zeigte sie zur Tür. »Raus!«, schrie sie. »Was bilden Sie sich ein?«
    Als er aufstand, wurde Hella Vahlen beleidigend. »Durchgeknallter Spinner«, schrie sie ihn an. »Schnüffler, Spießer, Opportunist!« Wieland fürchtete,

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