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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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Ereignisse in der Gemeindestube weiterzuerzählen. In jedem Fall wussten an jenem Abend bereits alle im Gasthaus,was passiert war, und nicht einmal sein Schwiegervater wagte es, sich Hermann Vahlen zu nähern. Allein hatte er an seinem Ecktisch gesessen, mit leerem Blick auf sein Glas starrend, seine breiten Schultern herunterhängend. Und als er schließlich die Schankstube lange vor allen anderen wieder verließ, hatte kaum einer der Männer nicht an Hermanns Worte von der Schande der Niederlage denken müssen.
    Am Sonntag darauf war Hermann als einer der letzten zur Messe gekommen. Mit festen Schritten ging er an den Reihen der Bänke vorüber, kaum sah man ihn sein Bein nachziehen, bis er, statt sich wie gewöhnlich zu den Schwiegereltern, der Frau und den Kindern zu setzen, für alle Gemeindemitglieder sichtbar neben seiner Mutter, der Großmutter und seiner Schwester Martha Platz genommen hatte.
    Â»Sag es dem Lieutenant«, zischte Hermann. »Wenn die wollen, dass wir den Mund halten, dann müssen sie uns Hagis lassen.«
    Linde nickte. Er wollte Hermann helfen. Ein Gemeindevorsteher musste wissen, auf welcher Seite er zu stehen hatte, dachte er. Wenn Wilfried Linde aber bereits an diesem Abend in der Brinkschen Gastwirtschaft gewusst hätte, was er damit anrichten würde, dann hätte er dem Dolmetscher Hermanns Forderung nicht überbracht. Er hätte den Dingen ihren Lauf gelassen.
    Der Klügere gibt nach, hatte Lindes Mutter immer gepredigt. Einem wildgewordenen Eber stellt man sich nicht in den Weg, und schon gar keinem Bullen.
    Die Sieger waren es nicht gewohnt, auf die Vorschläge der Verlierer einzugehen. Keiner der fremden Soldaten fühlte sich verantwortlich für das Unglück des deutschen Mädchens. In den Augen der Amerikaner, das verstand Linde erst später, war ein Mann unschuldig, solange er nicht verurteilt war, und er wurde nicht verurteilt, solange man ihm nichts beweisen konnte.
Innere Sicherheit (Herbst 1974)
    Es war spät, als Vahlen in das Eckstein kam. Die Luft war verqualmt und aus den Toiletten, deren Türen ständig auf- und zuklappten, verbreitete sich ein süßlicher Geruch nach Urin. Vahlen ging in Richtung des Tresens, wo er Gellmann und Pfaff entdeckte. Weiter hinten nahm er undeutlich die Blicke einiger Einheitsfrontler wahr. Schmitt saß auf einer der Eckbänke zwischen zwei Mädchen, die dämlich grinsten. Eine winkte ihn an den Tisch, aber Vahlen grüßte nur kurz. Er wollte zu Gellmann und erkannte erst jetzt, dass auch Rössig und Kühn am Ausschank standen. Er würde sich ein Bier holen, dachte er, ein paar Worte mit Pfaff und Gellmann wechseln und sich dann zu Schmitt setzen.
    Â»Vahlen! Hier rüber!«, rief Gellmann. »Auf der Messe erzählt man sich, dein Roman geht gut! Vier Wochen nach der Auslieferung schon die zweite Auflage!«
    Â»Was soll ich sagen?«, antwortete Vahlen. »Ich kann nicht klagen.« Er sah, wie Rössig sich zu ihm umdrehte. Er musste schon eine ganze Menge getrunken haben.
    Â»Bleibst du noch hier, oder geht es gleich zurück in die texanische Wüste?«, fragte Gellmann.
    Â»Ein paar Wochen bleibe ich wohl in Deutschland.«
    Â»Und Hella? Muss die nicht arbeiten?«, fragte Kühn.
    Â»Sie darf in Amerika nicht arbeiten. Jedenfalls nicht gegen Geld. Sie hospitiert wieder am Krankenhaus, das hat sie schon beim letzten Mal gemacht. Sie sagt, sie würde von den Ärzten dort lernen.«
    Â»Das nenne ich echte Kapitalistenscheiße«, dröhnte Rössig nun vom Tresen herüber. »Und deine Frau macht da auch noch mit, lässt sich von den Schweinen ausbeuten.«
    Â»Hör mal, ich bin ganz deiner Meinung, was die Kapitalistenscheiße angeht«, fiel Gellmann ihm ins Wort. »Aber wenn Vahlens Frau in Amerika nichts gelernt hätte, dann hätte ich jetzt keinen Mittelfinger mehr. Die sind uns, was die Medizin angeht Jahrzehnte voraus.« Gellmann war mindestens genauso betrunken wie Rössig.Er hob seinen vernarbten Mittelfinger, der seit dem Erfolg seines letzten Stückes zu einer Art Markenzeichen geworden war, in die Höhe und schwang ihn langsam vor Rössigs aufgedunsenem Gesicht hin und her.
    Â»Wie war das nochmal mit deinem Finger, Gellmann?«, fragte Vahlen. »Hat Ingeborg ihn dir abgebissen, als du einer anderen an die Wäsche gehen wolltest? Ich wusste gar nicht, dass Hella etwas damit zu tun

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