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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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hatte. Spielt sie etwa eine Rolle in deinem versauten Stück?« Er zwang sich zum Lachen.
    Â»Nein, nein, so blöd bin ich auch wieder nicht. Die Wirklichkeit, auf die wir ja beide viel Wert legen, hat sich anders zugetragen. Ich habe mir beim Kochen den Finger fast abgeschnitten. Hella hat dem Arzt geholfen, ihn wieder anzunähen.«
    Kühn und Rössig grinsten blöd.
    Â»Hierzulande kümmert man sich um solche Kleinigkeiten wie Mittelfinger gar nicht. Wie schon meine Mutter immer gesagt hat: Ungeschicktes Fleisch muss weg. Die amerikanischen Kapitalisten dagegen wussten, dass in meinen Fingern noch ein paar gute Theaterstücke stecken.«
    Â»Du bist doch selbst schon eine Kapitalistensau«, brüllte Rössig hinter seinem Rücken. »Wie viel machst du denn pro Aufführung mit deinem ›Finger‹-Stück? Wo war es nochmal, in Hamburg?«
    Â»Es läuft gerade in Frankfurt, Wien, Berlin, Hamburg und in Lausanne. Nächsten Monat kommen Paris und Lyon dazu. Nimm es mir nicht übel, Kumpel. Deine Stücke finden auch noch eine Bühne, auch wenn sie schlechter sind.« Gellmann lachte.
    Â»Hella war also dabei, als du dir in den Finger geschnitten hast?«, fragte Vahlen. »Wann war das genau?«
    Â»Das kann ich dir verraten. Das war vor ziemlich genau drei Jahren. Am siebten Oktober 1971. Zwei Tage später wurde Ingeborg auf der Kundgebung verhaftet, und ich saß mit dem Finger allein da und konnte sehen, wie ich mir den Arsch mit links abwische. Sag nicht, du wusstest nicht, dass deine Frau mich damals in Frankfurt besucht hat?« Wieder lachte er.
    Vahlen nickte und lachte ebenfalls. Er sah wie Rössig, der inzwischen auf einem Barhocker saß, sich nach vorne beugte und Gellmann am Ärmel packte. Gellmann schwang mit seinem Bierglas herum, zog Rössig vom Hocker, der auf ihn drauf fiel. Beide brauchten eine Weile, bis sie sich wieder aufgerichtet hatten. Mit hochroten Gesichtern standen sie sich gegenüber.
    Â»Du schreibst doch nur fürs Geld«, zischte Rössig.
    Â»Das solltest du auch mal versuchen«, sagte Gellmann.
    Wieder brauchte Rössig eine Weile, um sich zu sammeln. Dann nahm er einen Aschenbecher vom Tresen. Die Kippen fielen zu Boden, die Asche wirbelte durch die Luft. Er holte aus, Gellmann duckte sich, und Vahlens Faust landete in Rössigs Gesicht. Der Aschenbecher fiel zu Boden. Kühn half Rössig, der unter dem Schlag zurückgetorkelt war, in den Stand. Vahlen drehte sich um. Gellmann sah ihn erstaunt an. Aber bevor er etwas sagen konnte, hatte auch er Vahlens Faust im Gesicht.
    Vahlen war Linkshänder. Das hatte schon öfter für Überraschungen gesorgt. Er rieb sich die Hand. Noch immer hatte er Lust auf ein Bier, aber er würde es woanders trinken. Die Leute sahen ihm nach, als er das Lokal verließ. Ihr Blick erinnerte ihn an einen seiner wiederkehrenden Träume.
Konfrontation I (Juni 2007)
    Â»Mein lieber, guter Wieland«, sagte Hella Vahlen. Beim Sprechen blätterte sie weiter in den Seiten seiner Doktorarbeit, tat sogar, als lese sie noch einen Absatz zu Ende, bevor sie aufschaute. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie auf Judiths Spielchen nicht eingehen und die Briefe aus Ihrer Dissertation heraushalten wollen.«
    Wieland nickte. Da saßen sie wieder im Glasanbau. Sein erster Besuch bei der Witwe lag weit zurück. Zwar behandelte sie ihn noch immer von oben herab, und Wieland war ihr gegenüber noch immerunsicher. Doch diesmal kannte er das Haus. Er wusste, wie schwer es für sie gewesen war, es nach dem Tod Peter Vahlens zu halten. Und jede Ecke darin verband er mit Judith.
    Nie hätte er gedacht, er würde sich freiwillig noch einmal in diese Situation bringen. Aber Judith zuliebe wollte er es tun. Er hatte sich vorgenommen, Hella Vahlen mit seinem Wissen zu konfrontieren. Er wollte ihr klarmachen, dass er, was die Geheimhaltung gewisser familiärer Details anging, auf ihrer Seite war. Wenn sie zusammenhielten, müsste niemand – und vor allem nicht Judith – von ihrer wahren Herkunft erfahren. Trotzdem würde er darauf bestehen, das Fragment in aller gebührenden Vollständigkeit zu veröffentlichen, ganz nach Judiths Wunsch und notfalls auch gegen den Willen der Witwe.
    Er hatte sich alles genau zurechtgelegt. Um sein Entgegenkommen zu signalisieren, hatte er Hella Vahlen ein Kapitel seiner Dissertation mitgebracht. Die Korrespondenz

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