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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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sie würde ihn angreifen.
    Noch beim Hinausgehen rief er, weil er glaubte, sich damit schützen zu können, dass sich das Fragment längst bei seinem Doktorvater in der Duisburger Universität befinde. »Die Allgemeinheit hat ein Recht an Vahlens Werk. Genau wie Judith. Sie können Ihrer Tochter die Entscheidungsbefugnis für den Nachlass ihres Vaters nicht einfach aberkennen. Eines Tages werden die Dinge ohnehin in ihrer Verantwortung liegen.«
    Â»Jetzt hören Sie mir mal zu«, schrie die Witwe. »Das ist mein Leben, in dem Sie herumstochern. Und noch ist es nicht vorbei. Was in meiner Kraft steht und was nicht, entscheide immer noch ich. Machen Sie also keinen Fehler.«
    Nach dieser Drohung konnte Wieland sich nicht mehr zurückhalten. »Den Fehler haben Sie selbst begangen, Frau Vahlen. Vor vielen Jahren. Für mich kann es nur noch darum gehen, Dichtung und Wahrheit auseinander zu halten. Ich werde Judith helfen, mit ihrer Geschichte ins Reine zu kommen, wie sie es für richtig hält.«
Wichse II (März 1919)
    Wolken schoben sich vor den abnehmenden Mond und verdickten die Nacht zu einer trüben Suppe. Auf den bitterkalten Winter war tagelang andauernder Regen gefolgt, der die Wege zur Hüh in zähen Morast verwandelt hatte. Vier junge, kleingewachsene Männer, deren letzte Zweifel an der eigenen Auffassung von Recht und Ordnung mit der dritten Flasche Morbelswein endgültig verschwunden waren, stapften fluchend den Hohlpfad herauf. Sie hatten ihre Gesichter mit Schuhwichse geschwärzt. In den Händen hielten sie Benzinkanister aus dem Treibstofflager. Und in ihren Köpfen kreisten dumpfe Gedanken von Soldatenehre und Rache.
    Nie, davon waren sie überzeugt, hätte ein amerikanischer Soldat sich an einem einheimischen Mädchen vergangen, mochte es noch so schöne Augen haben. Schließlich kamen sie aus einem zivilisierten Land, und die Fräuleins lagen ihnen ohnehin alle zu Füßen. Greens Truppe mochte zur Hälfte schwarz sein, aber die andere Hälfte hatte Herzen, so weiß wie der Schnee von Wyoming. Und sie schworen, sich nicht von den Kriegsverlierern und schon gar nicht von Krüppeln wie Hermann Vahlen den Frieden verderben zu lassen.
    An ihrer Spitze ging der junge Kehl, der sich auf der Hüh auskannte. Auch er hatte sich Hände und Gesicht schwarz angemalt, so dass das Weiße seiner Augen und das blutrote Innere seiner Lippen leuchteten. Auch er trug eine Militärhose mit einem schweren Gürtel, und auch in seinem Herzen brannte eine tiefe Verachtung für die Vahlen-Frauen, die sich seit einiger Zeit aufführten, als gehörte ihr Hof schon zum wohlhabenden Unterdorf. Das Flittchen von der Hüh sollte büßen. Alle sollten sie büßen. Wenn am Montag die Offiziere des Militärgerichts einträfen, würden die Witwen wieder wissen, wo ihr Platz war.
Duisburg I: Kittels Chance (Juni 2007)
    Â»Bitte nennen Sie mich Judith«, sagte die Vahlen-Tochter gleich nachdem sie sich vorgestellt hatte. »Herr Professor, ich brauche Ihren Rat.«
    Judith strahlte eine zarte Hilflosigkeit aus. Zu den hohen Absätzen trug sie Jeans und eine geblümte Bluse. Aber so wie sie ihren missgebildeten Unterarm geschickt zu verbergen wusste, erschien Kittel auch die einfache Kleidung lediglich als Teil einer Strategie. Judith Gellmann-Vahlen bekam sicher grundsätzlich alles, was sie wollte. Und er zweifelte keine Sekunde daran, dass sie das Vorbild für die Figur der hinterlistigen »Tochter« in Villa Westerwald war.
    Statt den Besucherstuhl zu nehmen, den Kittel ihr angeboten hatte, setzte sie sich auf seinen Schreibtisch. Sie sagte, was Kittel schon wusste, dass sie Wieland damit betraut hatte, das Fragment zu ordnen und mit den Notizen und Materialien Peter Vahlens für die Publikation zu vervollständigen. Allerdings klang das Vorhaben aus ihrem Mund für den Professor seriöser als die Unterbreitungen seines Doktoranden.
    Der Professor nickte verständnisvoll. Er konnte noch immer nicht glauben, dass ausgerechnet Wieland, ein blutiger Anfänger, auf eine solche Sensation gestoßen war. Als Wieland ihn angerufen hatte, um von seiner Entdeckung zu erzählen, hätte der Professor unmöglich mit Begeisterung reagieren können. Aber nur einen Moment später bereute er seine abwehrende Haltung. Wieland ließ sich nicht mehr am Lehrstuhl blicken. Dabei wollte Kittel das

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