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Schlechte Gesellschaft

Titel: Schlechte Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Born
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so dicht, dass sie meinte zu ersticken. Erneut rüttelte sie an den Armen der Großmutter, an ihren Beinen, bis sie endlich zu husten begann.
    Martha zerrte Irma mit Mühe hoch und brachte sie, auf ihre Schulter gestützt, nach draußen. Das Krachen und Knistern des Feuers erfüllte die Nacht. Die Funken flogen bis in den Himmel. Martha setzte Irma, die noch immer würgte und hustete, auf der Bank unter der Linde ab. Dann lief sie ihrer Mutter hinterher, die sie in ihrem langen Nachthemd zum Stall hatte rennen sehen. Sie rissen die Türen auf, und die Ziegen stürmten ihnen sofort entgegen. Mit der Kuh ließ Kläre ihre Tochter allein. Das Tier stemmte sich ängstlich und mit verdrehten Augen gegen den Strick, als Martha es durch das brennende Tor ziehen wollte. Sie musste es mit der Forke schlagen, bis es schließlich in einem heftigen Satz über die Schwelle sprang.
    Im Hof sah Martha, wie Irma mit wackligen Schritten auf das brennende Haupthaus zuging. Erst in diesem Augenblick begriff sie, dass niemand die Kinder geholt hatte. Heinrich und Hagis mussten noch immer in der Kammer unter der Treppe schlafen. Sie holte ihre Großmutter ein und begann panisch nach den Jungen zu rufen. Aber da sah sie Kläre schon aus dem Eingang treten, über dem der Dachstuhl gefährlich aufloderte.
    Später war es, als hätten in diesem Moment alle Geräusche und Bewegungen ausgesetzt. Irma stand reglos neben Martha. Sie hatte aufgehört zu husten. Es war, als gelte alle Aufmerksamkeit der Welt nur der Witwe Kläre, die schwer tragend einige Schritte weiter wankte, bis sie schließlich unendlich langsam in die Knie ging. Im vom Feuer taghell erleuchteten Hof saß sie am Boden. Ihr Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, und in den Armen hielt sie die leblosen Körper der beiden Kinder.
Konfrontation II (Juni 2007)
    Judith hatte ihren Mantel in Wielands Auto liegen lassen. Am Morgen war es noch kühl gewesen. Aber am Nachmittag, auf der Terrasse des Cafés in Arlich, hatte die Luft bereits friedlich summend über der Einkaufspassage gelegen. Und als er in Duisburg den Wagen abschließen wollte, sah er das silbrige Daunensteppteil auf dem Rücksitz liegen, eine abgeschälte Haut, ein Teil von Judith, den sie bei ihm zurückgelassen hatte.
    Wieland überlegte, ob er ihr den Mantel schicken sollte. Er könnte ihn auch als Vorwand benutzen, um Judith wiederzusehen. Aber womöglich würde sie sich darüber ärgern. Dabei musste auch ihr klar sein, wie dumm und unnötig ihr Streit gewesen war.
    Wie hatte es der Philosophische Gärtner formuliert? »Wenn einer geht, bleibt ein anderer zurück.« Wieland stand in seiner ihm fremdgewordenen Duisburger Wohnung und schämte sich. Er hätte gerne wieder zurückgenommen, was er Judith gesagt hatte. Die Witwe hatte recht. Im Grunde ging es ihn alles nichts an. Das einzige, was Wieland jetzt interessierte, war Judith. Nicht ihre Herkunft, nicht ihre Vergangenheit, sondern sie selbst. Ihre warme Stimme, die tiefen Winkel ihrer Lippen. Er setzte sich auf sein Bett.
    Noch immer war er überzeugt, Judith alles erklären zu können. Aber sie hatte ihm keine Chance gelassen, und ihre Reaktion auf seine Worte war so schroff gewesen, dass Wieland zu keinem sinnvollen Argument mehr fähig war.
    Er hatte gehofft, sie könnten ihr Vorhaben, das Manuskript zu veröffentlichen, aufgeben. Er hatte sich gewünscht, Judith würde ihm vertrauen, ohne dass er ihr sämtliche Gründe dafür darlegen müsste. Aber nach seiner Konfrontation mit der Witwe hatte er Angst, Hella Vahlen könnte ihre Tochter gegen ihn aufbringen. Und so hatte er sich gezwungen gefühlt, Judith mit zumindest einem Teil der Wahrheit zu konfrontieren.
    Sie hatten sich gegenüber gesessen, und Judith hatte etwas schroff die Klarsichthülle mit den Briefen auf den Tisch geworfen.
    Â»Ich will dich nicht beunruhigen«, begann er vorsichtig. »Aber vielleicht sollten wir die Publikation des Manuskripts noch einmal überdenken.«
    Â»Ich wusste, du würdest einen Rückzieher machen«, sagte Judith sofort. »Du hältst mich hin. Seit Wochen hockst du über den Papieren. Was suchst du da eigentlich?«
    Wieland war erschrocken über das Ausmaß ihrer Wut. Aber seine Recherchen zum Familienhintergrund waren ihr von Anfang an unnötig erschienen. Für sie musste es ausgesehen haben, als wolle er

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