Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
» Die Kurve lässt kaum einen Zweifel am Zusammenhang zwischen dem Fettgehalt der Nahrung und dem Risiko zu, an koronarer Herzkrankheit zu sterben. « (Zu den Kriterien für Veröffentlichungen in Fachzeitschriften komme ich in Kapitel »Ideologie verdrängt Wisenschaft«.)
Was Keys verschwieg, war dieTatsache, dass zur selben Zeit bereits Daten von 22Ländern vorlagen.Wenn er alle Länder in seine Überlegungen einbezogen hätte, wäre aus seiner schönen Kurve ein chaotisches Knäuel geworden. So verzehrten damals die Norweger genauso viel Fett wie die US -Amerikaner, Norwegen hatte aber nur ein Drittel derTodesrate für Herzkrankheiten. Die Finnen wiederum aßen weniger Fett als die US -Amerikaner und hatten eine höhereTodesrate.
Das korrekte Nennen oder das manipulativeWeglassen vonVergleichsgruppen kann das Ergebnis einer Studie auf den Kopf stellen, wie auch das Beispiel der Nordkarelien-Studie zeigt. Sie gilt als besonders einflussreich, weil sie eine Interventionsstudie ist. Sie wurde in Nordkarelien durchgeführt, einem Bezirk im Osten Finnlands, der Region mit der höchsten Rate an Herzkrankheiten in Europa. Als Intervention wurde dort eine große Kampagne mit dem Ziel gestartet, die üblichen Risikofaktoren zu vermindern. Man versuchte Anti-Raucherkampagnen umzusetzen, stellte von Butter auf Margarine um undvieles mehr.Tatsächlich sank die Herzinfarktrate, was bis heute als Beleg für die Richtigkeit diesesVorgehens gefeiert wird. Jahre später wurde jedoch bekannt, dass in der Nachbarregion Kuopio, wie auch in anderenTeilen Finnlands, in denen weiterhinTabak, Fleisch und Butter genossen wurden, die Zahl der Herztoten in derselben Zeit sogar noch weiter zurückgegangen war. Dieser Rückgang war schlicht eine normale Entwicklung in einer moderner werdenden Gesellschaft.Vermutlich war das auch den Autoren der Nordkarelien-Studie klar, sie haben jedoch dieVergleichsgruppe verschwiegen, die dieWirkungslosigkeit ihrer Intervention belegt hätte. Nichtsdestotrotz findet sich die Nordkarelien-Studie bis heute in Lehrbüchern als besonders wertvoller Beleg dafür, dass fleisch- und fettarme Ernährung vor Herzinfarkt schützt.
Weglassen der Gesamtbewertung
DochTäuschung geht auch noch anders. Angenommen, Sie möchten sich ein Einbauregal von einem Schreiner anfertigen lassen und möchten nun wissen, ob Sie sich dieses Regal leisten können. Sie werden deshalb den Schreiner bitten, ein Angebot über die Gesamtkosten zu erstellen. Der Schreiner liefert Ihnen aber nur Detailaussagen, zum Beispiel, dass er das Holz beim Händler zu einem Sonderrabatt bekommt, er einen besonders niedrigen Stundenlohn ansetzt und seine Fahrtzeit nicht berechnet. Klingt gut, aber würden Sie sich damit zufriedengeben?Vielleicht braucht er viel länger als ein anderer Schreiner, der zwar pro Stunde mehr verlangt, dafür aber wesentlich zügiger arbeitet und somit sogar günstiger ist. Der gesunde Menschenverstand möchte eine Gesamtaussage darüber, wie viel es denn insgesamt kosten wird.
Doch die medizinischeWissenschaft gibt sich oft mit viel weniger zufrieden. Und zwar häufig nur mit einerWirkung, anstatt nach dem Gesamtnutzen zu fragen.Wenn eine Studie dieWirkung eines Medikaments belegt hat, zum Beispiel, dass es den Blutdruck senkt, dann heißt dies noch lange nicht, dass das dem Patienten auch nützt. Denn damit ist noch nicht gesagt, dass auch sein Herzinfarktrisiko sinkt. Und selbst wenn er keinen Herzinfarkt bekäme, dann ist damit noch lange nicht gesagt, dass er auch länger lebt. Denn vielleicht sorgen bisher unbekannte Nebenwirkungen dafür, dass andere Erkrankungen nun viel stärker auftreten, die vielleicht sogar das Leben verkürzen.Wenn also in der Medizin damit argumentiert wird, dass eineTherapie wirksam ist, heißt das noch lange nicht, dass sie dem Patienten insgesamt gesehen auch nützt.
Der statistisch besteWeg, den Gesamtnutzen einerTherapie zu belegen, besteht darin, zu messen, ob die Patientengruppe, die dieseTherapie erhalten hat, länger lebt als die Gruppe, die nicht therapiert wurde. Gelingt das, ist es ein sehr starkes Argument für dieseTherapie. Dennoch fehlt in sehr vielen Studien diese Angabe, selbst dann, wenn man von der Größe der Studie und der finanziellen Ausstattung her voraussetzen muss, dass diese Daten erhoben wurden. Man kann dann durchaus vonVorsätzlichkeit ausgehen. Denn wird die Lebensdauer nicht positiv beeinflusst oder sogar gesenkt, ist dies ein sehr starkes Argument gegen
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