Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Peter C. G ø tzsche diesem zwar menschlich erklärbaren, aber fachlich unhaltbaren Missstand auf den Grund gehen. Sie überprüfte über 100kontrollierte Studien, von denen sie die Kopien der Studienpläne, also die Protokolle und auch alle Protokollergänzungen, erhalten konnte. Dadurch wussten sie, welche Messungen und Ergebnisse die Studienleiter durchgeführt und auch dokumentiert hatten. Danach sahen sie sich dieVeröffentlichungen ebendieser Studien an und waren hochgradig erstaunt, dass die Daten nur sehr unvollständig wiedergegeben waren. So waren zwei Drittel der Daten, die auf einen negativen Ausgang der Studie hingedeutet hätten, einfach weggelassen worden. Als sie die Studienleiter auf diesen Missstand hinwiesen, haben weniger als die Hälfte der Angeschriebenen geantwortet. Die meisten davon leugneten schlichtweg die Existenz der fehlenden Daten, obwohl es unwiderlegbare Beweise gab, dass sie existierten. Sie waren ja in den Protokollen erwähnt. Deshalb ist die Forderung angemessen, dass medizinische Studien alle Messergebnisse und Protokolle öffentlich zugänglich machen müssen, um diesen Missstand, der zu grandiosen Fehlbewertungen vonTherapien führt, abzustellen.
Ersatzparameter
Häufig wird in Studien der Erfolg der getesteten Maßnahmen an Parametern gemessen, die aber unter Umständen gar nicht entscheidend sind für den tatsächlichen Nutzen einerTherapie. Die Herzrhythmusstörung ist eine gefährliche Komplikation nach einem Herzinfarkt. Gegen diese Herzrhythmusstörungen wurden verschiedene Medikamente eingesetzt, und ihr Erfolg wurde anhand eines verbesserten EKG s gemessen. Als jedoch Jahre später eine Studie diese Medikamente mit Placebos verglich, zeigten sich in der Medikamentengruppe mehrTodesfälle– trotz zuvor besserem EKG . Ein weiteres Beispiel für einen irreführenden Ersatzparameter ist die Knochendichte als Indikator für das Risiko von Knochenbrüchen bei Frauen nach denWechseljahren. Bei Frauen, die Natriumfluorid einnahmen, zeigte sich tatsächlich eineVerbesserung der Knochendichte.Trotzdem traten bei ihnen häufiger Knochenbrüche auf als bei Frauen, die lediglich ein Placebo eingenommen hatten. Problematisch sind Labor- und Körpermesswerte dann, wenn sie in Studien als Ersatz dafür verwendet werden, was man tatsächlich messen möchte, etwa weniger Herzinfarkte oder längere Lebenszeit. Bloß weil ein Medikament den Blutdruck reduziert, beugt es nicht automatisch auch Herzinfarkten oder Schlaganfällen vor. Das Gleiche gilt unter anderem für Cholesterin-, Gewichts- oder Fettreduktion. Dies muss in Studien überprüft werden, in denen nicht nur diese Ersatzparameter, sondern auch deren tatsächlicheWirkung auf die zu messende Erkrankung und am besten noch zusätzlich die Lebenszeit mit erfasst werden. Deswegen ist großeVorsicht geboten, wenn man auf der Basis solcher ErsatzparameterTherapien empfiehlt.
»Der anerkannte Standard in der Forschung«
Nun werden Sie vielleicht erstaunt sein angesichts der Menge an Schlampereien bis hin zum Betrug in der medizinischen Forschung.Womöglich meinen Sie, dass der überwiegendeTeil derWissenschaftler diese Datenmanipulationen verurteilt.Was mich betrifft, ich würde eher dem Hamburger Statistikexperten Hans-Peter Beck-Bornholdt zustimmen, der sich schon lange mit diesem Missstand beschäftigt. Er meint zu diesem Problem: » Manipulation würde ich dieseVorgehensweise nicht nennen. Das ist eher anerkannter Standard in der Forschung. « Sie haben richtig gelesen.
Und wo bleibt das Erdbeben der Empörung inWissenschaft, Politik und Medien? Nichts dergleichen. Stattdessen business as usual. Um die Dimension klarzumachen: Mit statistisch wertlosen Studien wird dieWirksamkeit vonTherapien » bewiesen « , die dieseWirksamkeit aber gar nicht beurteilen können. Millionenfach werden so nutzlose oder gar schädlicheTherapien gefördert und bessereTherapien unterdrückt.Wann aber hat dieser Schwindel im großen Stil eigentlich begonnen? Dazu müssen wir 60Jahre zurückgehen. Damals wurde der Grundstein gelegt zu etwas, was man auch den größten Erfolg der Marketinggeschichte nennen könnte.
Das Märchen von den Risikofaktoren
Die meisten Behandlungen in Deutschland richten sich heute gegen die sogenannten Zivilisationserkrankungen. Dazu zählen vor allem Schlaganfall, Krebserkrankungen und Zuckerkrankheit (medizinisch: Diabetes). Auch Herzerkrankungen wie die koronare Herzkrankheit gehören dazu, die stellenweiseVerengung von
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