Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
bitte ihn danach um seine Meinung. Das ist keine Statistik, sondern Empirie, das heißtWissen, das auf Erfahrung beruht. Hier schließt sich im Idealfall der Kreis. Eine Idee entwickelt sich aus Erfahrung, sie wird statistisch auf ihre wahrscheinlicheWirkung hin geprüft, die Endbeurteilung ihres Nutzens trifft dann wieder der erfahrene Praktiker. So ist es gedacht, und so sollte es sein.
Wenn man also statistische Studien als wissenschaftlichesArgument für Empfehlungen undTherapien nutzt, darf man nicht sagen, dass die Studien einen Zusammenhang bewiesen haben. Korrekterweise müsste man vielmehr sagen, dass dieWahrscheinlichkeit hoch ist, dass es sich inWirklichkeit auch so verhalten wird. Das klingt umständlich, deshalb verwende ich für die » Beweiskraft « einer Studie am liebsten den Begriff belegen.Wie oben schon praktiziert, spreche ich also davon, dass eine Studie etwas belegt hat oder eben nicht.
Weitere Fallstricke
Man muss also sehr vorsichtig sein, wenn man statistische Erkenntnisse inTherapien umsetzen will. Es lauern noch weitere Fallstricke. Eine große Rolle spielt zum Beispiel auch, ob das, was ich überprüfen möchte, eindeutig und einfach ist.Wenn ich beispielsweise ausschließen möchte, dass einWürfel mit 6Seiten gezinkt ist, dann reicht eine relativ geringe Anzahl vonWürfen, um auf eine gleicheVerteilung von Einsern bis Sechsern schließen zu können, etwa 600 mit einer Restunsicherheit von unter 5Prozent. Hätte einWürfel 100Seiten, bräuchte ich eine ungleich größere Anzahl anWürfen, um dies zu überprüfen.
Liegt ein eindeutiger Zusammenhang vor, genügt ein kleiner Studienaufbau, selbst wenn große Effekte zu erwarten sind. Da der Zusammenhang zwischen Skorbut und Mangel anVitamin C sehr eindeutig ist, konnte James Lind schon anhand einer kleinenVersuchsgruppe einen Erfolg sehen. Der Zufall hatte dabei wenig Irrtumspotenzial.Wäre der Heilungseffekt nicht so groß gewesen, hätte erTausende von Seeleuten benötigt, um den kleineren Effekt zu belegen. Auch der Zusammenhang von Zigarettenrauchen und erhöhtem Krankheitsrisiko konnte relativ einfach statistisch belegt werden, weil dieser Zusammenhang inWirklichkeit häufig vorkommt. Gute Statistik deckt solche klaren Risiken zuverlässig auf.Wenn die Zusammenhänge jedoch sehr klein oder gar nicht vorhanden sind, dann wird auch die tausendste Studie diesen Zusammenhang nicht belegen können, es sei denn, man hilft bei der Interpretation der Ergebnisse etwas nach.Wie man das macht, werden Sie gleich sehen.
Liegt ein einfacher Zusammenhang vor, zum Beispiel ob ein neuerWirkstoff den Blutdruck senkt, reicht auch ein relativ einfacher Studienaufbau. Es geht nur um einen definierten pharmakologischen Einzelstoff und eine spezifische Reaktion, die Blutdrucksenkung.Wenn bei denTeilnehmern derTestgruppe gegenüber jenen der Placebo-Gruppe der Blutdruck deutlicher gesunken ist, kann sich der Praktiker meist darauf verlassen, dass dies auch bei den meisten seiner Patienten zutrifft.Will ich aber einen Zusammenhang mithilfe einer Studie testen, der auf viel komplexerenVerbindungen beruht– zum Beispiel ob Obst und Gemüse vor Krebs schützen–, dann wird es ungleich aufwendiger.Obstsorten, die Kombination der Sorten, Jahreszeit, regionale Besonderheiten,Verdauungsunterschiede, all diese Einflussfaktoren durch Untergruppenbildung zu berücksichtigen, ist nicht unmöglich, aber sehr schwierig. In solchen Fällen muss man besonders darauf achten, ob eine daraus abgeleitete Empfehlung nicht inWirklichkeit ganz andereWirkungen zeigt als die gewünschten.
Paradoxerweise darf man aber in letzter Konsequenz gar nicht ausschließen, dass derjenige trotzdem recht haben könnte, der die schlechteste Statistik vorlegt. Um hier eine endgültige Einschätzung vornehmen zu können, müsste man, wie beim Beispiel der Forellen, etwas wissen, das man nicht in Erfahrung bringen kann: den Anteil von guten und schlechten Ideen im Kopf des Forschers. Ist der Anteil der guten Ideen hoch, dann ist auch dieWahrscheinlichkeit hoch, dass er trotz schlechter Statistik an wertvollen Erkenntnissen forscht. Da wir aber die Qualität der Ideen im Kopf eines Forschers auch nicht mittels einer Röntgenaufnahme beurteilen können, sollte man sich im Zweifel doch lieber zunächst denTherapien zuwenden, deren Nutzen durch statistisch korrekt durchgeführte Champions-League-Studien belegt wurde.
Aufgrund all dieser Fallstricke würde kein Biometriker auf die Idee kommen,
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