Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
die untersuchteTherapie.
Aufweichen des Studien-TÜV
Wenn einflussreiche Institutionen eine systematische Übersichtsarbeit erstellen, dann werden sie ihrem Ruf nur gerecht, wenn sie sich an die Regeln halten. Nur Studien mit Champions-League-Charakter dürfen dann die Gesamtbewertung bestimmen. Und davon gibt es nicht viele, meiner Schätzung nach zwischen 0 und 5Prozent zu einer bestimmten medizinischen Fragestellung. Deshalb ist es sehr problematisch, wenn derWorld Cancer Research Fund ( WCRF )– wie im neuesten WCRF -Report zumThema Krebsprävention in Bezug auf Ernährung und Bewegung aus dem Jahr 2007– in einer solchen Übersichtsarbeit von 22 100 gesichteten Studien rund 7000 in die Endbewertung einbezieht, also fast ein Drittel. Allein dieseTatsache spricht aus meiner Sicht dafür, dass die Regeln des Studien- TÜV bei der Durchführung dieser Übersichtsarbeit nicht eingehalten wurden. In den 7000 verwandten Studien kann nur ein kleiner Prozentsatz Champions-League-Studien enthalten sein. Der überwiegendeTeil der Studien hat Bundesliga- und Bezirksliganiveau. Ein solchesVorgehen kann ganz leicht ein Ergebnis auf den Kopf stellen, welches bei alleiniger Berücksichtigung von Champions-League-Studien herauskommen würde. Somit ist zufälliger oder gelenkter SpekulationTür undTor geöffnet.
Kompletter Ausfall einer Überprüfung
Oft gibt es für die Behandlung kompletter Krankheitsbilder gar keine Überprüfung von Therapien, selbst dann, wenn diese jahrzehntelang praktiziert wurden. Ein Beispiel ist die medikamentöse Behandlung der Schizophrenie. 1998 veröffentlichte eine Forschergruppe einen umfassenden Überblick über den Inhalt und die Qualität der kontrollierten Studien, die für die Behandlung von Schizophrenie durchgeführt worden waren. Sie überprüften über 2000 Studien, und man darf über das, was sie herausfanden, entsetzt sein. Die Studien hatten zu wenige Teilnehmer, waren über eine zu kurze Zeitspanne geführt worden oder verglichen neue Arzneimittel mit älteren Therapien, die für ihre Nebenwirkungen bekannt waren und damit schlechter abschneiden mussten. Ein statistisches Chaos. Ein halbes Jahrhundert lang waren Studien ohne Plan und mathematische Sorgfalt durchgeführt und damit wertvolle Zeit vergeudet worden bei der Frage, welche Therapien eine erfolgreiche Behandlung von Schizophrenie ermöglichen könnten, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen wie die häufige Dyskinesia tarda auszulösen, eine sich wiederholende unfreiwillige Bewegung des Mundes und des Gesichts mit Grimassenschneiden, Schmatzen, häufigem Zungeherausstrecken, Mundspitzen oder Backenaufblasen.
Unterschiede in Titel, Zusammenfassung und Gesamttext einer Studie
Oder man geht einen anderenWeg, wenn die Ergebnisse einer Studie nicht den gewünschten entsprechen. Man schreibt in der Überschrift oder der kurzen Zusammenfassung einer Studie den gewünschten Inhalt, belässt dann aber im langenText bei der Darstellung der Messreihen undTabellen die tatsächlichen Messergebnisse, die dann oft der Überschrift widersprechen. Das klingt absurd, wird aber tatsächlich sehr oft praktiziert. Besonders gravierend ist diese » selektive Zusammenfassung «, wenn etwa Nebenwirkungen, die noch in denTabellen und imVolltext aufgeführt werden, dann in der Gesamtbeurteilung fehlen und somit die geprüfteTherapie in ein milderes Licht tauchen. Eine gängige Praxis sogar bei Artikeln in den am höchsten angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften und ein schwerwiegender Missstand deswegen, weil die Fachwelt aufgrund von Zeitmangel meistens nur Überschriften und Zusammenfassungen liest. Ich erlebe immer wieder, dass in Diskussionen Kollegen Studien als Beleg für ihreThesen aufführen, bei denen sie maximal die Zusammenfassung gelesen haben können. Studien, von denen ich weiß, dass demVolltext das glatte Gegenteil zu entnehmen ist.
Wie man sich das konkret vorstellen muss, zeigt ein Beispiel aus einem der renommiertesten Forschungsinstitute, dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, welches sich schon seit Jahren für eine fleischarme und gemüsereiche Ernährung einsetzt. Bei der sogenanntenVegetarierstudie feierte man, dass die HeidelbergerVegetarier weniger Herzinfarkte bekommen. Erst wenn man nicht nur Überschrift und Zusammenfassung, sondern die ganzeVeröffentlichung der Studie genau liest, sieht man, dass eine entscheidende Information nicht mitgeliefert wurde: Die HeidelbergerVegetarier sterben früher als
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