Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Fachgesellschaft vorgibt.Wie eine Firma ihr Geld dabei einsetzt, kann nur vermutet werden, denn die Firmen sind nicht dazu verpflichtet, dies offenzulegen. Aber man kann davon ausgehen, dass es ähnlich wie in den USA über Beraterverträge, irgendwie verbuchte Forschungszuwendungen, Reisen oder sonstige Honorare geschieht. Es wird zwar gefordert, die Finanzierung einer Studie oder auch der Leitlinie selbst offenzulegen, aber was die unterschiedlichenVerbindungen der einzelnen Autoren betrifft, gibt es keine wirkungsvollenVerpflichtungen. Deswegen ist es einfach, einen Interessenkonflikt schlichtweg zu leugnen undNachfragen versanden zu lassen.Transparenz sieht anders aus.
Dass in der Hochschulwelt ganz offensichtlich wenig Problembewusstsein herrscht, zeigt auch das öffentlich zugängliche Protokoll einer Anhörung im Rahmen des IQW i G -Leitlinienvergleichs zumThema Diabetes. Dort wird den Betroffenen von Pharmafirmen bis zu Fachgesellschaften die Möglichkeit geboten, zu den Ergebnissen desVergleichs Stellung zu beziehen. Man merkt sofort, dass einigeTeilnehmer eine Aufweichung des Studien- TÜV erreichen wollen, um so Ergebnisse wirtschaftsfreundlicher ausgehen zu lassen.
Sehr aufschlussreich ist eine Aussage von Prof. Dr. med. Ernst Adolf Chantelau, einem anerkannten Diabetologen, der nicht alsVertreter einer Firma, sondern als Privatperson an dieserAnhörung teilnahm und Klartext sprach:
» Es ist natürlich klar, dass die Leitlinien kontaminiert sind durch die Interessenkonflikte der Autoren dieser Leitlinien. … Zum Beispiel ist die Leitlinie Angiologie [Gefäßerkrankungen] oder so etwas in einer S3-Leitlinie [S3 - Leitlinien sind die am höchsten bewerteten und damit einflussreichsten Leitlinien] der ArbeitsgemeinschaftWissenschaftlicher Fachgesellschaften von Herrn Lawall und Herrn Diem gemacht worden. Herr Lawall hat einen glasklaren Interessenkonflikt, weil er Honorare von verschiedenen Firmen angenommen hat, die hier zumTeil auch vertreten sind– ich will das nicht weiter ausführen–, ich meine nur:Wenn man weiß, dass ein Leitlinienautor, der eine Leitlinie Neuropathie [Nervenerkrankungen] verantwortet, Honorare der Firma Pfizer bekommen hat, dann braucht man gar nicht mehr weiterzulesen. «
Es ist davon auszugehen, dass es eine direkte Einflussnahme der Industrie auf die Leitlinienerstellung in Deutschland gibt. Aber es bestehen kaum Chancen, diejenigen Leitlinienautoren zu identifizieren, die sich solcher Einflussnahme durch Annahme aller möglichen Zuwendungen aussetzen. Die investierten Gelder der Hersteller werden sich um einVielfaches auszahlen. DieVerlierer sind die Patienten, denn sie werden so systematischen Falschbehandlungen ausgesetzt. Solche Einflussnahme gibt es überall in der Gesellschaft.Wenn sich ein Ministerpräsident auf besonders günstige Kredite oder sonstigeVergünstigungen von reichen » Freunden « einlässt, dann resultiert daraus vielleicht eine besonders schnell erteilte Baugenehmigung oder eine Gesetzesvorlage, welche Steuerhinterziehung erleichtert. In der Medizin bedeutet diese Form von Korruption Millionen falsch behandelter Patienten, Schmerz, Leid und frühenTod. Das ist der Unterschied. Insofern ist es nicht tolerabel, dass die deutscheWissenschaft diese skandalösen Zustände nicht schnellstmöglich laut und deutlich thematisiert und effektiv bekämpft.Warum passiert das nicht?Weil zu viele um ihre Privilegien fürchten? Man will es angesichts des Schadens, der von Ärzten aus reiner Geldgier angerichtet wird, nicht glauben, aber es scheint so zu sein.
Fortbildungsfarce
Die Hersteller, insbesondere die Pharmaindustrie, nehmen also massiv Einfluss auf wissenschaftlicheVeröffentlichungen und Meinungen. Dagegen könnte helfen, dass Ärzte sich regelmäßig fortbilden und durch qualifizierte Fortbildungen diese Propaganda besser entlarven, verstehen und ihr auch widerstehen könnten. Ein sinnvoller Gedanke, der im Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2004 als Pflicht zur ärztlichen Fortbildung verankert wurde. Seitdem muss jeder Arzt auf einem Fortbildungskonto innerhalb von 5Jahren 250Fortbildungspunkte sammeln, um zum Beispiel seine Kassenzulassung zu behalten. Dabei können Fortbildungen von beinahe jedem veranstaltet und die Punkte vergeben werden. Es genügt ein Antrag bei der Ärztekammer mit Informationen zu Inhalt und Referenten, die meist Ärzte sein müssen. So fordern es manche Landesärztekammern. Ausrichter der Fortbildung können also Praxen,
Weitere Kostenlose Bücher