Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
Kliniken, Fachgesellschaften, die Pharmazie, im Prinzip auch der Männergesangsverein » MGV fröhliche Kehlchen « sein, sofern sie dieVorgaben der Ärztekammer erfüllen.
Je nachdem, für wie qualifiziert die Ärztekammer die Fortbildung hält, und je nach Dauer kann der Anbieter dann Fortbildungspunkte vergeben. Dabei sind natürlich diejenigen Fortbildungen beliebt, bei denen es viele Fortbildungspunkte gibt, weil wir Ärzte ja zu Punktesammlern geworden sind. Ich habe in den vergangenen 20Jahren an sehr vielen Fortbildungen dieser Art teilgenommen, die von Ärztekammern, Krankenhäusern, Universitäten, aber auch naturheilkundlichenVereinigungen angeboten wurden, und in den allermeisten Fällen wurden fast immer nur Referate gehalten, die keinerleiTransparenz bezüglich der Qualität ihrer Aussagen ermöglichten. Regelwidriges Arbeiten und der Sache nicht dienlicher Einfluss von außen waren überall zu spüren. Nicht selten war ich unter 400Zuhörern der einzige, der eine kritische Frage stellte, auf andere Studienergebnisse hinwies und darauf, dass die vorgetragenen Inhalte längst widerlegt waren. Doch die Professoren wollten sich nicht kritisieren lassen und die meisten Kollegen nur ihre Zeit absitzen.
Hochgradig frustrierend, und schließlich hatte ich es satt, meine Zeit in solche Showveranstaltungen zu investieren. Stattdessen recherchierte ich, las Studien und suchte Fachleute auf, um Antworten auf meine Fragen zu finden, die dann auch Eingang in meine Bücher gefunden haben. Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, wie viel Arbeit damit verbunden ist, doch die Ärztekammer teilte mir mit, dass ich pro Buch mit nicht mehr als 1Punkt rechnen könne. 1 Punkt für 9Monate intensive Beschäftigung mit medizinischenThemen, während ich für 3Stunden Absitzen bei einer Propagandaveranstaltung eines biologisch-dynamischen Arzneimittelherstellers 3Punkte bekomme plus ein kostenfreies Büfett im Anschluss? Manche Kollegen beginnt das zu ärgern. Mich auch, und so weigerte ich mich, an solchen Fortbildungen teilzunehmen. (Beziehungsweise, wie es durchaus üblich ist, mir Blanko-Teilnahmebescheinigungen von Kollegen mitbringen zu lassen. Sorry, liebe Kollegen, das musste mal gesagt werden.)
Als Student mag man das lustig finden, mit einer kostenlosen Umhängetasche und einem warmen Essen im Bauch nach Hause zu gehen, aber für diesen Unsinn fühle ich mich einfach zu alt. Doch als sich die Fünfjahresfrist 2009 dem Ende zuneigte, erreichte mich ein Schreiben der Kassenärztlichen Vereinigung ( KV ) mit der Drohung, mir meine Kassenzulassung zu entziehen. Da ich die Zusammenarbeit mit meinem damaligen Kollegen in einer kassenärztlichen allgemeinmedizinischen Praxis sehr schätzte und weiterführen wollte, bat ich die Kassenärztliche Vereinigung, mir einen Weg zu weisen, wie ich durch Fortbildungen, die diese Bezeichnung tatsächlich verdienen, meinen Punktestand auffüllen könnte. Ich bat sie, mir eine Liste von Fortbildungsveranstaltungen zu geben, die explizit als herstellerfrei gekennzeichnet sind, also nicht von der Pharmaindustrie oder von den Herstellern medizinischer Geräte finanziert werden.
In dem Antwortschreiben vom 7.Juli 2010 an mich steht Folgendes:
» Sie können auf der Homepage der Landesärztekammer Baden-Württemberg ( LÄK ) nachsehen, welche Fortbildungen angeboten werden und wer derVeranstalter ist. Die LÄK nimmtVeranstaltungen von Pharmaunternehmen nur dann in den Fortbildungskalender auf, wenn diese versichern, dass die jeweiligeVeranstaltung neutral ist. Eine Liste über herstellerfreie Fortbildungen gibt es allerdings nicht. Da der Fortbildungskalender der LÄK immer denVeranstalter nennt, haben Sie auf jeden Fall eine Orientierungshilfe. «
Das ist nun Realsatire. Ein Sponsor muss der Landesärztekammer nur zusichern, dass er keinen Einfluss nimmt, und schon ist für die KassenärztlicheVereinigung gesichert, dass kein Einfluss stattfindet. Hinzu kommt, wenn nun eine Klinik, eine Praxis oder einVerband eine Fortbildung zumThema » Blutdrucksenkende Medikation « anbietet, mögen diese zwar derVeranstalter sein, trotzdem sind solche Fortbildungen häufig von der Industrie gesponsert. Und die wird nur solche Fortbildungen mitfinanzieren, in denen ihr Produkt offen oder verdeckt ins richtige Licht gerückt wird. Das ist ganz normale Kaufmannslogik, egal wie blind sich die KassenärztlicheVereinigung auch immer stellt.
Die Pharmaindustrie gibt heute deutlich mehr Geld aus
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