Schlehenherz
ganze Ort wirkte, als wäre er seit Langem verlassen. Von »Blauer Reiter« keine Spur. Wie ein schwerer Stein ineinen Brunnen, so plumpste mein Herz Richtung Kniekehlen. Meine Enttäuschung war abgrundtief. Verzweifelt drehte ich mich zu Nessie um, die angelaufen kam, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.
»Sieht aus, als wäre ich versetzt worden«, sagte ich mit kleiner Stimme.
* * *
Da war sie. Seine Beute. Aber … da war plötzlich noch eine andere! Was sollte er tun? Was sollte er tun?
* * *
Die Kommissarin hatte Mühe, ihre Anspannung zu zügeln. Ungeduldig blickte sie auf Grovers himmelblauen Schopf hinunter, während der an ihrem Tisch saß und sich an seinem Laptop zu schaffen machte, den sie ihm für die Recherchen zurückgegeben hatte.
»Geht das nicht ein bisschen schneller?«, konnte sich Monika nicht verkneifen.
»Wenn Ihr sauberer Herr Kollege meinen Computer nicht komplett auseinandergenommen und alles durcheinandergebracht hätte, schon«, knurrte Grover und hackte gereizt auf die Tastatur ein. Dann starrte er mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm. »Mist«, zischte er. Monika wurde ungeduldig: »Was ist?«, drängte sie.
Grover sah sie an: »Ich bin in ihrem Account drin. Und raten Sie mal, wer sich mit Lila treffen will? ›Blauer Reiter‹!«
Monika starrte ihn eine Sekunde lang an, ehe sie nur sagte: »Wann?«
»Heute. Um 15.30 Uhr im Café an der Loisachkapelle«, knurrte Grover. Er konnte nicht verhindern, dass sich ein ärgerlicher Ton in seine Stimme schlich. Es wurmte ihn immer noch, dass Lila diesem Gedichtefuzzi den Vorzug gab. Und, als wäre das nicht genug, ihn dafür bei den Bullen anschwärzte.
Immerhin hatte die Kommissarin ihn gebeten – auch wenn es gegen jede Regel verstieß – sich ein letztes Mal in Lilas schülerVZ-Account einzuhacken. Sie wollte einfach sichergehen, dass dem Mädchen nichts passierte.
»Moment mal … der Laden hat doch zu«, schaltete sich der EDV-Forensiker ein. Und fuhr gleich darauf fort: »Da musste vor ein oder zwei Wochen ’ne Streife von uns hin, weil der Besitzer total betrunken randaliert und seinen eigenen Tresen mit der Axt zerlegt hatte. Hat mir ein Kollege in der Kantine erzählt.«
Monika stieß die angehaltene Luft mit einem Zischen aus, das durchaus als deftiger Fluch interpretiert werden konnte.
Auch Grover sah hoch und sagte mit mühsam unterdrückter Anspannung: »Lila hat das Treffen übrigens zugesagt!«
»Wir wollen mal nicht die Pferde scheu machen. Es kann ja auch eine ganz harmlose Verabredung mit einem Chatfreund sein, der denkt, das Café wäre offen«, erklärte Monika betont ruhig.
Dass sie nicht so gelassen war, wie sie tat, merkte Grover, als sie anfügte: »Nur zur Sicherheit: Kann man irgendwie rauskriegen, wer hinter diesem Nickname ›Blauer Reiter‹ steckt?«, fragte sie, und Grover vernahm einen Unterton in der Stimme der Kommissarin, der ihren Stress verriet.
»Aber nicht kucken«, kommandierte er, während er einige Befehle eingab und diverse Hackerprogramme anfingen zu laufen und seine Befehle auszuführen.
Monika stieß gereizt die Luft aus, beherrschte sich aber. Zwar hätte sie den blauhaarigen Schlaks am liebsten zur Strafe für seine unverfrorene Art in die Ausnüchterungszelle gesteckt und dort ein paar Stunden schmoren lassen, aber sie brauchte ihn.
Selbst ihr Kollege aus der Computerforensik musste zugeben, dass der Junge in puncto Computertechnik verdammt fit war. Und er konnte den Account von Elina May am schnellsten knacken – Kunststück, schließlich hatte er das schon vorher regelmäßig praktiziert. Er musste ganz schön verknallt in das Mädchen sein, dachte Monika. Wider Willen war sie von seiner Hartnäckigkeit und dem Erfindungsreichtum beeindruckt.
Dagegen bereitete ihr die Information, dass Elina sich mit einem Forumteilnehmer treffen wollte, der weder mit richtigem Namen noch mit einem Foto bei schülerVZ gelistet war, Bauchgrimmen. Obwohl sie es logisch nicht begründen konnte. Während sie noch darüber nachdachte, ob es vielleicht Intuition oder einfach nur grundlose Sorge war, sprang Grover von Monikas Schreibtisch auf.
»Shit! Der Typ ist nicht zu identifizieren. Alles, was ich kriege, ist der Hinweis auf einen Proxyserver – und der steht … in Russland!«
Grover hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da war Monika schon in ihre Jacke geschlüpft und griff sich den Autoschlüssel vom Schreibtisch.
»Gefahr im Verzug, ich bin bei der
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