Schlehenherz
ehrlich: Wenn ein Lehrer so dämlich ist und nicht mal Dateien verschlüsselt, sondern die Klausuren auch noch im EDV-Raum bei uns an der Schule bearbeitet oder ausdruckt – dann ist das doch quasi schon Anstiftung zur Informationsbeschaffung, oder?«
»Du bist ein ›Cracker‹, Freundchen: Einer, der kriminell in fremde Datensysteme eindringt. Das brauchst du uns hier gar nicht schönzureden«, schaltete sich Monikas Kollege ein und musterte Grover finster.
»Ja, aber ich bin der Beste«, gab der frech zur Antwort. »Geben Sie mir fünf Minuten – und ich hab das Passwort von eurem Kriminalpräsidiumsdingsda geknackt.«
Monikas Kollege klappte die Kinnlade runter. Er setzte zu einer heftigen Erwiderung an, doch Monika stoppte ihn mit einer Handbewegung, ehe sie sich an den Jungen wandte, wobei sie darauf achtete, seinem Köter nicht mehr zu nahe zu kommen – ein Sabberfleck auf ihren neuen Lederstiefeln reichte ihr. »Wenn du wirklich so gut bist, wie du behauptest, dann erklär mir doch mal, wie jemand über einen Proxyserver gehen kann, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen oder lokalisierbar zu sein«, forderte sie Grover heraus.
Der gab frech zurück: »Mögen Sie Zwiebeln?«
»Was hat das denn mit meiner Frage zu tun?«, antwortete sie gereizt. Sie musste den Impuls unterdrücken, dem unverschämten Bürschchen mal ordentlich seinen blauen Kopf zu waschen.
Der erklärte fast gelangweilt: »Da gibt’s ein Netzwerk namens TOR, das nach dem Zwiebelschalenprinzip funktioniert. Die Datenpakete laufen nach dem Zufallsprinzip über mehrere Proxyserver in aller Welt. Damit ermöglicht es anonymes Surfen im Netz, weil die Verbindungsstrecken im Netz alle paar Minuten gewechselt werden. Das dürfte sogar für die besten Bullen … öh, sorry, Polizisten … ein schier unlösbares Problem sein, weil man da so richtig schön im Nebel stochert.«
»So weit waren wir auch schon«, knurrte Monikas Kollege im Hintergrund.
Grover beachtete ihn nicht. Aufmerksam musterte er die Kommissarin. »Wieso wollen Sie das wissen – Lila ist doch nicht in Gefahr, oder?
* * *
Er hatte den Kofferraum geöffnet und legte nun alles sorgfältig zurecht: Das Seil, mit dem er sie fesseln würde, und den Knebel, damit niemand sie schreien hörte. Er war selbst erstaunt, wie bereitwillig die Beute auf seinen Vorschlag eingegangen war. Aber sie konnte ja nicht wissen, dass nicht nur der Biergarten, sondern auch das Café neben der Kapelle seit Wochen geschlossen war. Pleite gegangen, weil der Besitzer sein eigener bester Kunde gewesen war und alles versoffen hatte, statt seine beiden Kellner zu bezahlen. Als die schließlich wegblieben, weil sie kapiert hatten, dass sie keinen Cent von ihrem Lohn mehr sehen würden, konnte er dichtmachen. Zwar kam dieser Versager doch tatsächlich bei ihm angewinselt und wollte, dass er ihm unter die Arme griff, doch er hatte ihm klipp und klar gesagt, dass von ihm nichts zu holen war. Ungläubig schüttelte er den Kopf: Glaubte sein Vater tatsächlich, dass er sich für ihn an den Zapfhahn stellte oder Leuten ihre Getränke an den Tisch servierte? Sein eigener Job kotzte ihn schon genug an, da würde er nicht noch für seinen Alten, der ihn sowieso die meiste Zeit nur verprügelt hatte, den Handlanger spielen. Ein Gutes hat die ganze Sache aber, dachte er und ließ den Schal, den er der Beute neulich abgenommen hatte, verträumt durch die Finger gleiten: Der verlassene Ort war die perfekte Falle.
* * *
Es klingelte und Nessie stand etwas atemlos vor der Tür: »Dir ist hoffentlich klar, dass du mich mitten aus ’nem Romantik-Date mit Alex geholt hast!?«
Dann stockte sie und blickte verblüfft einmal an mir rauf und runter, ehe sie durch die Zähne pfiff. »Wow, Lila, du siehst ja cool aus. Ich wusste gar nicht, dass dir ›Lippenstift‹ ein Begriff ist, geschweige denn, dass du einen besitzt!«
Ich begnügte mich damit, ihr einen gespielt vernichtenden Blick zuzuwerfen, und sie zuckte grinsend die Schultern, ehe sie ihre Neugierde, die ihr bis unter den gebleichten Haaransatz stand, nicht mehr zügeln konnte: «Also, was gibt es so Wichtiges, das nicht warten kann?«
Möglichst sachlich erzählte ich, dass Grover offensichtlich nicht hinter »Blauer Reiter« steckte. Ich konnte es mir nicht verkneifen, mit einem Quäntchen Schadenfreude hinzuzufügen: »Es kann gar nicht ein und dieselbe Person sein. Während Grover nämlich gerade von der Polizei auseinandergenommen wird –
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