Schlehenherz
Loisachkapelle«, rief sie ihrem Computerkollegen zu, ehe sie aus dem Büro stürmte. »Sag Gasser Bescheid, der soll mit zwei Streifenwagen dorthinkommen.«
Sie war schon auf dem Flur, da hörte sie Schritte und ein lautes Hecheln hinter sich. Links von ihr tauchte der massige schwarze Schatten des Hundes auf und eine Stimme sagte: »He, Moment mal …!«
Eine Zehntelsekunde lang dachte Monika tatsächlich, der Hund hätte gesprochen. Doch dann sah sie Grover, der sie einholte und keuchte:
»Sie glauben ja wohl nicht, dass Sie da alleine hinfahren …!«
Nessie blickte mich strafend an: »Das ist jetzt nicht wahr, oder?«
Ich hatte ihr gerade gestanden, dass ich nicht einmal eine Handynummer von »Blauer Reiter« hatte. Weswegen mein Telefon auch nach dem Anruf bei der Polizei ausgeschaltet zu Hause lag. Ich zuckte entschuldigend die Schultern. »Es ging alles so schnell. Und außerdem war ich mir sicher, dass er auftaucht«, meinte ich kleinlaut.
Sie blickte sich um. »Ist ja komisch«, meinte sie. »Alles dicht! Guck mal, auf dem Parkplatz da unten steht auch nur dieser eine Lieferwagen!«
Ich folgte ihrem Blick. Ein weißer Kombi, an dessen Seite die Aufschrift prangte »Bäcker Ecker: Mach mal Pause – mit unserer Jause«, war das einzige Auto weit und breit.
»Was für ein selten dämlicher Werbespruch«, sagte ich sauer, um meinen Frust über das verpatzte Date irgendwie abzulassen. Am liebsten hätte ich eine Dose roter Farbe genommen und wild über den Schriftzug gesprüht, um mich abzureagieren. Die Kränkung, von »Blauer Reiter« im Stich gelassen worden zu sein, fraß sich wie Säure in meine Seele.
Ein Blick in mein Gesicht, und Nessie schien zu ahnen, was in mir vorging. Tröstend legte sie mir die Hand auf den Arm. »Mann, jetzt lass dich mal nicht hängen. Außerdem: Wir sind superpünktlich. Vielleicht hat er sich ja nur verspätet!«
Durch ihre Worte etwas hoffnungsvoller gestimmt, nickte ich zögernd. »Okay, ich gebe ihm noch zehn Minuten. Danach bin ich weg.«
»Dann tauche ich lieber ab. Am Ende ist er ja schüchtern und flüchtet gleich wieder, wenn er uns beide hier sieht«, kicherte sie.
Ihr Blick fiel auf die Tür zu der kleinen Kapelle. Sie stand halb offen. Unternehmungslustig marschierte sie darauf zu.
»Nessie, warte«, zischte ich. »Du kannst da nicht einfach reingehen, das ist bestimmt verboten!«
»Wieso?«, gab sie unbekümmert zurück, »Ein bisschen himmlischen Beistand kann ja wohl jeder brauchen! Außerdem kann ich von hier drin prima beobachten, wer dein geheimnisvolles Internetdate ist!«
Ich zögerte ihr zu folgen. In diesen kleinen Kirchen und Kapellchen, die in der Umgebung so zahlreich standen, überfiel mich stets ein leichtes Unbehagen. Meist waren sie mit Heiligenfiguren vollgestopft, unter denen Blumen und Rosenkränze lagen, und so winzig, dass sich gerade mal eine Handvoll Leute darin aufhalten konnte. Ich fühlte mich in dieser heiligen Enge schnell eingesperrt. Deshalb blieb ich draußen stehen, als Nessie mir nichts, dir nichts in den kleinen Altarraum spazierte.
»Oh, hi«, hörte ich sie überrascht sagen.
Neugierig geworden, lugte ich nun doch um die Ecke.
Ein Mann kniete in einer der schmalen Bänke, nur seine dünnen blonden Haare und ein massiger Rücken, über densich ein ausgewaschenes blaues Sweatshirt spannte, waren zu sehen. Dann drehte er den Kopf und sein blasses Mondgesicht sah uns ausdruckslos an. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Blitzartig durchschoss mich das Wissen: Ich hatte ihn schon ein paar Mal gesehen – nur wo?
»Hey, verkaufst du nicht im Kiosk bei uns an der Schule?«, fragte Nessie.
In diesem Moment klickte es auch bei mir. Natürlich! Der verdruckste Typ, der immer schweigend die Snacks rüberreichte und wortlos das Geld entgegennahm! Dann gehörte ihm wohl auch der Lieferwagen mit dem blöden Werbeslogan auf dem Parkplatz. Dass ausgerechnet einer wie er religiös war und zum Beten hierherkam, erstaunte mich zwar, ich dachte mir aber nichts dabei. Gott war schließlich kein exklusiver Designartikel.
»Wie heißt du gleich noch mal?«, hörte ich Nessie fragen und dann seine undeutlich gemurmelte Antwort: »Schäfer, Andreas.«
Sollte sie ruhig noch ein bisschen mit ihm schäkern, ich hatte jedenfalls keine Lust dazu. Außerdem wollte ich sehen, ob »Blauer Reiter« inzwischen im Anmarsch war. Also wandte ich mich ab und schlenderte ein paar Schritte in Richtung Biergarten, als ich plötzlich hinter mir das
Weitere Kostenlose Bücher