Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
italienischen Fernsehen auftreten«, sagte ich zu Francesca.
»Wieso nicht?«
»Na, weil sie eher einen bayerischen Body-Mass-Index haben.« Mit meinen Händen formte ich den ungefähren gemütlichen Körperumfang, den Frau Pschierer mit den Jacob Sisters teilte. Francesca lachte und wies darauf hin, dass, wenn ich Pech hätte, eine ebensolche Zukunft vor ihr liegen könnte.
Am Abend rief mich Thomas an, um zu erfahren, wie unser Umzug gelaufen war.
»Und, wie is es da unten, bei den Seppeln?«
»Schon ein bisschen anders. Stell dir vor, ich wohne in einem Haus zusammen mit dem Mann, der Bambis Mutter erschossen hat!«
»Wieso das denn?«
»Unser Hausmeister ist ein Jäger.«
Thomas kriegte sich nicht mehr ein vor Lachen.
»Das geschieht dir recht. Hoffentlich erschießt er dich eines Tages, weil du mit schmutzigen Schuhen die Treppe hochgelaufen bist.«
»Freu dich bloß nicht zu früh. Wenn du zu Besuch kommst, lebst du hier genauso gefährlich wie ich.«
In der Nacht schlief ich unruhig. Ein wirrer Traum. Ich sitze auf einem Stuhl. Mit einer riesigen Posaune im Schoß. Schorsch Rieger steht hinter mir. Mit seinem Gewehr in der Hand. Frau Pschierer und Francesca sind auch da. Sie essen Apfelstrudel. Ich muss auf der Posaune spielen, sonst wird etwas Furchtbares passieren. Ich weiß nicht, was, aber es ist etwas, vor dem ich mich fürchte. Meine Hände schwitzen. Ich blase. Mit aller Kraft. Ich kann dem Instrument nicht einmal ein Krächzen entlocken. Ich blase weiter. Mir wird schwindlig. Hyperventilation. Bäume fliegen an mir vorbei. Ich sitze auf dem Rücken eines Hirsches, der in schnellen Sprüngen durchs Unterholz springt. Hinter mir höre ich ein Knacken. Ich drehe mich um. Schorsch Rieger hat den Hirsch im Visier. Ich will abspringen. Ich kann meine Beine nicht bewegen. Schorsch Rieger legt an. Meine Zeit ist abgelaufen. Um mich herum ist es dunkel. Finstere Nacht.
»Was hast du?«, fragte mich Francesca, noch halb im Schlaf. Sie dreht sich um, mit dem Rücken zu mir. Ich schmiegte mich an sie. Ja, was habe ich eigentlich? Ich wusste es nicht.
6. Kapitel: In welchem die Bayern ungemein zügig mit dem Assimilationsprozess eines zugereisten Berliners beginnen. Ob der das nun will oder nicht
München nennt sich ja selbst auch gerne Weltstadt mit Herz. In meinen ersten Wochen in der bayerischen Landeshauptstadt lasen sich diese Worte für mich wie die Beschreibungen eines Urlaubsortes im Reisekatalog. »Ihr landestypisch eingerichtetes Zimmer liegt nur fünfzehn Minuten vom naturbelassenen Strand entfernt.« Übersetzt heißt das, dass man in seiner Unterkunft eine rudimentäre bis gar keine Einrichtung vorfinden wird. Was aber nicht so schlimm ist, da man ja ohnehin vorhat, den ganzen Tag am Strand zu liegen. Den man in fünfzehn Minuten erreicht. Wenn man vor dem Hotel eine startbereite Boeing 747 stehen hat und keinen klapprigen Mietwagen. Aber wenigstens ist der Strand naturbelassen, will heißen: Er wurde seit Jahren nicht mehr sauber gemacht, und niemand kümmert sich darum.
Weltstadt mit Herz bedeutete für mich erst einmal übersetzt, dass München unfassbar klein ist. In Berlin ist man vom Zentrum nach Spandau eine gute Dreiviertelstunde unterwegs, ohne jemals die Stadt zu verlassen. In München schafft man es in derselben Zeit mit der S-Bahn über die Dörfer bis an den Starnberger See oder bis nach Herrsching an den Ammersee. Und wenn der Wind günstig steht, dann riecht es in München sogar manchmal nach Kuh. Die kurzen Wege in München, das Überall-zu-Fuß-Hinlaufen oder das In-zwanzig-Minuten-da-Sein, all das hat zwar seinen Reiz, doch es fühlte sich für mich erst einmal komisch an. So gar nicht nach Weltstadt. Zumal München nicht nur keine Ausmaße einer Weltstadt besitzt, sondern seine Einwohner sich auch im zwischenmenschlichen Bereich eher dörflich statt weltbürgerlich verhalten. Es dauerte gerade mal zwei Wochen, und ich wurde beim Bäcker und in dem kleinen Obst- und Gemüseladen um die Ecke mit Namen begrüßt. »Grüß Gott, Herr Wiechmann!« Noch immer ließ mich die bayerische Begrüßungsformel erschauern. Ich selbst brachte sie nicht über die Lippen. Doch meinem fröhlich zurückgeschmetterten »Hallo« wurde stets mit einem ernst gemeinten Lächeln begegnet. Die Damen und Herren in den Geschäften freuten sich ganz offensichtlich über ihre Kundschaft. Selbst wenn sie zugereist war, so wie ich. Das hinderte die Verkäufer natürlich nicht, mir meine ersten
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