Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
ihm eine Flasche eines sündhaft teuren spanischen Rotweins geschickt. Mit durchschlagendem Erfolg. Jetzt saßen wir, mein Geschenk und zwei weitere Weinflaschen später, bei ihm zu Hause und waren wieder ein Herz und eine Seele.
»Von außen betrachtet, sind die Bayern schon ein merkwürdiges Volk«, begann Thomas zu dozieren.
»Stimmt, am krassesten finde ich diesen klobigen Akzent, der so klingt, als hätte jeder von denen einen Schäferhund verschluckt, der aus dem Bauch noch nachbellt«, pflichtete ich ihm mit schwerer Zunge bei. »Mia san mia!«, bellte ich hinterher.
»Sehr richtig beobachtet, mein Bester. Doch was mir an deiner Stelle noch mehr Sorgen bereiten würde, ist dieser Lederhosen-Fetisch. Ich sage dir, wenn in Bayern die Lichter ausgehen …« Thomas überließ es meiner Fantasie, mir vorzustellen, was in Bayern passiert, wenn die Lichter ausgehen. »Weißt du, was ich mich allerdings sehr häufig frage?« Thomas schaute mich durchdringend an.
»Nein.«
»Ich fragte mich, wie es dazu kommen konnte, dass ausgerechnet der undeutscheste Flecken Deutschlands – also Bayern – es geschafft hat, zu einem Aushängeschild deutscher Kultur zu werden. Als ich vor drei Jahren in Brasilien war, beispielsweise … Jedem, dem ich enthüllte, ich sei Deutscher, grinste mich debil an, klopfte mir fröhlich auf die Schulter und rief laut: ›Ah, Deutschland: Oktoberfest, FC Bayern, gut Bier!‹ Normalerweise hätte ich jedem von denen einen reinhauen müssen. Ich meine, das war doch schließlich eine übelste Beleidung meiner Person!«
»Stimmt. Ich fände für solche Leute auch ein dreimonatiges Überlebenstraining in Berlin-Marzahn, Köln-Nippes oder Hamburg-Billstedt als Strafe angemessen. Damit sie sich mal aus nächster Nähe von deutschen Realitäten überzeugen können.«
»Genau. Zwei Wochen als Aushilfslehrer an der Rütlischule, für jeden Ausländer, der jodelt, wenn er erfährt, dass du Deutscher bist.«
»Können Brasilianer jodeln?«
»Ein paar haben auch das versucht. Es hat geklungen, als wäre jemand einer Katze auf den Schwanz getreten. Aber lenk nicht vom Thema ab!« Thomas hob mahnend seinen Zeigefinder. »Ich meine das ernst: Wie um alles in der Welt haben die Bayern das gemacht? Der Welt glauben zu machen, dass wir Deutschen am liebsten jodelnd Bier trinken, dazu Sauerkraut-Bratwurst-Burger essen und uns beim Tanzen auf hirschlederne Hosen klopfen? Wie kann eine Kultur die Welt erobern, die sich selbst der Welt nicht öffnet? Ich meine, wenn in der Öffentlichkeit das Thema Zuwanderung diskutiert wird, sind es doch die bayerischen CSU -Politiker, die am lautesten schreien. Daheim ist eben daheim. Die Bayern in Bayern und Zuwanderer in Zuwanderistan.«
»Stimmt, wenn man es so betrachtet, dann hat die Tatsache, dass die bayerische Kultur die Weltmeinung über uns Deutsche so erfolgreich prägt, etwas Unheimliches.«
»Genau! Denn eigentlich machen die gemütlichen Bayern nicht gerade den Eindruck, als hätten sie ein Interesse – geschweige denn die Vitalität –, die Welt kulturell zu erobern. Ich meine, ich erkenne da keinen offensichtlichen missionarischen Eifer. Da muss irgendeine ganz große Verschwörung der Bayern im Verborgenen laufen!«
»Sie haben versucht, uns mit Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber zwei wirklich merkwürdige Gestalten als Kanzler unterzujubeln!«, versuchte ich Belege für das usurpatorische Wesen der Bayern zu liefern.
»Aber diesen Griff nach der Macht, den konnte wir ja erfolgreich abwehren. Und der Gerechtigkeit halber möchte ich sagen, dass sympathische Politiker, ob nun aus Bayern oder nicht, insgesamt nur an einer Hand abzuzählen sind.«
»Was ist mit Hitler?«
»Wir sollten geschichtlich schon genau bleiben. Ich meine, ein Österreicher, wenn er nach Deutschland einwandert, muss zwangsläufig an München vorbei. Dass die Stadt dann auch gleich zur Hauptstadt der Bewegung wurde … Nun ja, so fair sollte man selbst den Bayern gegenüber sein: Der Nationalsozialismus war ein gesamtdeutsches, kein bayerisches Problem.«
»Okay! Aber da gibt es noch diesen zwanghaften Wahn, ständig die deutsche Fußballmeisterschaft gewinnen zu müssen.«
»Vielleicht. Aber wieso reden wir jetzt über Fußball? Wir haben doch eben noch über etwas ganz anders gesprochen … Ich habe nur vergessen, über was.« Jochen schaute apathisch zur Decke, als würde er nachdenken.
»Wir haben darüber gesprochen, dass die bayerische Kultur die Meinung über uns
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