Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
genau diese sieben Sekunden möglicherweise Aufschluss darüber geben könnten, warum Polizisten mit einen Wildgriller am Feringasee Judo üben, anstatt seinen Ausweis zu kontrollieren. Nein, hektisch und schnell können die Bayern wahrlich nicht. Außer auf dem Marienplatz.
Egal, zu welcher Stunde man sich tagsüber am Marienplatz mit dem imposanten Rathaus einfindet, Tausende anderer Menschen sind schon auf dieselbe Idee gekommen. Von hier aus wälzen sich die Massen in Richtung der Kaufingerstraße, um in die umstehenden Kaufhäuser einzufallen wie einst die Hunnen in Rom. Mit dem für die Händler sicherlich sympathischen Unterschied, dass die Münchner und Touristen ihre Souvenirs bezahlen, worauf die Hunnen wohl eher verzichtet hatten. Ich hatte gelesen, dass in Spitzenzeiten bis zu zwanzigtausend Menschen in der Stunde die Kaufingerstraße frequentierten. Eine unfassbare, gigantische Prozession des Kommerzes. Der Trubel hier war sogar mir zu viel. Bei unserem ersten Spaziergang durch die Innenstadt, es war ein Samstagvormittag, flüchteten wir lieber durch die Theatinerstraße in Richtung der Ludwigstraße, hin zum Odeonsplatz. »Wie in Italien«, meinte Francesca, als sie das wunderbare Ensemble von Theatinerkirche, Residenz und dem Bazargebäude mit dem Café Tambosi erblickte. Tatsächlich atmet der offene, großzügige Platz wie kein zweiter in München das italienische Dolce Vita. Francesca bestand darauf, auf der großen Terrasse vor dem Tambosi einen aperitivo zu trinken. Nach einer Viertelstunde ergatterten wir endlich einen Tisch. Francescas Vorgehen gegenüber den Wartenden, die eigentlich länger als wir da waren, war vielleicht etwas italienisch, aber zielführend. Keine zehn Minuten später standen zwei Vino Crodino und ein Apfelsaft für Oskar auf dem Tisch. Ich blinzelte in die Sonne und fühlte mich wie im Urlaub. Die Menschenmassen und den Konsumterror ein paar hundert Meter entfernt hatte ich vollkommen vergessen.
Das also war unser neues Zuhause.
7. Kapitel: In welchem sich das Kaufen von Fahrkarten in München erst als Hürde, dann jedoch als glänzende Geschäftsidee erweist
Das Erste, was mich in München wirklich bewegte, waren Rolltreppen. Ich hatte meinen Arbeitsbeginn so gelegt, dass uns noch zwei Wochen Urlaub im Mai blieben. Wir wollten die Zeit nutzen, uns einzuleben, durch die Stadt zu bummeln und ein paar Ausflüge aufs Land zu unternehmen. Und das Erste, was mir bei unseren Spaziergängen durch die Stadt auffiel, war dieses sonderbare Gebaren der Münchner auf ihren Rolltreppen. Dazu muss man wissen: München besitzt eine hohe Rolltreppendichte. Und nirgendwo lernt man schneller als auf den hiesigen Rolltreppen, dass München eine Stadt ist, deren Bewohner Wert auf Ordnung legen. Oberstes Münchner Rolltreppengebot: Rechts stehen, links gehen. Und das Erstaunliche ist: Jeder hält sich daran. Während es auf Berliner Rolltreppen gerne mal zu Verstopfungen kommt und der Wille, auf einer Rolltreppe überhaupt zu laufen, ohnehin sehr viel geringer ist, funktioniert das Rolltreppenwesen in München wie geschmiert. Rechts stehen die Menschen wie Perlen auf eine Schnur gezogen, links ist für die Ferraris unter den Fußgängern die Bahn frei, um ordentlich Tempo zu machen. Egal, ob es hoch- oder runtergeht. Mütter schieben ihre Kinder vor oder hinter sich. Selbst Freunde, die eben noch ins Gespräch vertieft einträchtig nebeneinander liefen, stellen sich auf der Rolltreppe ordnungsgemäß in Reihe. Sogar, wenn auf der linken Spur gerade niemand unterwegs ist, dem es pressiert, wie der Bayer die Eile so schön umschreibt.
Doch noch erstaunlicher als diese selbstverständliche Ordnung selbst ist das, was geschieht, wenn ebenjene Ordnung durcheinandergebracht wird. Von Touristen zum Beispiel oder anderen Ahnungslosen, von Menschen wie mir. Die Folge ist eine unmissverständliche soziale Ächtung, deren Stärke von einem knurrigen »Könnten S’ bitt’ schön den Weg frei machen?« bis zu einem herzlichen »Schleich di!« reicht. Und wenn man ganz großes Glück hat und an Leute vom Land gerät, erfährt man sogar, dass man ein »bleder Driedschler« sei, was in etwa so viel bedeutet, dass es nicht so schlau von einem ist, den ganzen Verkehr aufzuhalten. Diese Ächtung erfolgt nicht nur durch denjenigen, in dessen Weg man sich gestellt hat, nein, auch die Rechtssteher halten sich mit tadelnden Blicken und Kommentaren (»So geht’s fei net, junger Mann«) oft nicht zurück. Ich
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