Schleichendes Gift
Papiere unterschreiben, damit wir es verkaufen können.«
»Das Haus deiner Großmutter?« Carol wollte es genau wissen, bevor sie das sagte, womit sie vermutlich eine Bombe zum Platzen bringen würde.
»Ja.«
»Er weiß nicht, wovon er redet«, wandte Vanessa ein.
»Doch, ich weiß es«, versetzte er bockig wie ein übermüdetes Kleinkind. »Du bist schon dahinter her, dass ich sie unterschreiben soll, seit du mich hier gefunden hast.«
»Und hieß deine Großmutter Edmund Arthur Blythe?«, fragte Carol und tat extra unschuldig, um Vanessa in Rage zu bringen.
»Wie können Sie es wagen«, zischte sie Carol an.
»Was?«, meinte Tony. »Wer ist Edmund Arthur Blythe?«
Vanessa stürzte sich wieder auf Carol, die sie bedenkenlos mit einem Faustschlag abwehrte. Vanessa taumelte zurück und stieß gegen die Wand.
Einen Moment stand sie mit bestürztem Gesicht da, die Hände vor den Mund geschlagen. Dann sackte sie wie ein Betrunkener an der Wand herunter und kauerte auf dem Boden. »Nein«, jammerte sie. »Nein.«
Carol trat ans Bett und sagte: »Jemand, der glaubte, dein Vater zu sein.«
Montag
T ony hatte nicht über Edmund Arthur Blythe nachdenken wollen. Er hatte die Schwester um ein stärkeres Mittel als sonst gebeten, damit er garantiert schlafen konnte, weil er nicht wach liegen und über Edmund Arthur Blythe nachgrübeln wollte. Tony Blythe. Das wäre sein Name gewesen, wenn Vanessa den Mann geheiratet hätte. Er fragte sich, ob er je erfahren würde, warum das nicht geschehen war. Bei einer andersgearteten Frau hätte er entweder Vermutungen aufstellen oder sie einfach fragen können. Aber seine Mutter konnte er nicht fragen. Und zu raten war sinnlos, es gab so viele Möglichkeiten. Vielleicht war er mit einer anderen Frau verheiratet gewesen. Vielleicht hatte er vor einer Ehe mit Vanessa Angst bekommen. Vielleicht hatte sie ihm nie gesagt, dass sie schwanger war. Oder vielleicht hatte sie ihm gesagt, er solle sich davonmachen, sie sei allein besser dran. Dreiundvierzig Jahre hatte Vanessa seinen Namen und die Umstände ihrer Beziehung geheim gehalten. Tony glaubte nicht, dass sie es plötzlich für nötig befinden würde, dies zu ändern.
Vanessa hatte gestern Abend, bevor Carol sie hinauswarf, behauptet, ihr einziges Motiv sei gewesen, Tony vor dem Trauma zu bewahren, wenn er erfahren würde, dass sein Vater tot sei. »Ihn vor mehreren hunderttausend Pfund schützen«, hatte Carol ganz ungerührt hervorgehoben.
Wegen der Wirkung der Medikamente hatte er eine Weile gebraucht, bis er begriffen hatte, was Vanessa ihm da zur Unterschrift hatte unterschieben wollen. Die Papiere hatten nichts mit dem Haus seiner Großmutter zu tun. Er hätte mit seiner Unterschrift formell seinen Anspruch auf den Besitz seines Vaters an seine Mutter abgetreten. Ein Besitz, der laut Carol ein Haus in Worcester, etwa fünfzigtausend Pfund an Ersparnissen und ein Boot umfasste.
»Sie ist eine Kriminelle, Tony«, hatte Carol gesagt. »Das war versuchter Betrug.«
»Ich weiß«, hatte er geantwortet. »Aber das ist in Ordnung.«
»Wie kannst du so verständnisvoll sein?«, hatte Carol frustriert gefragt.
»Weil ich es verstehe«, hatte Tony erwidert. »Was meinst du, was soll ich tun? Gegen meine Mutter Klage einreichen? Ich glaube nicht. Kannst du dir vorstellen, wie viel Schaden sie uns mit der Hilfe eines Anwalts vor Gericht zufügen könnte?« Carol hatte nur zwei Sekunden gebraucht, um die Auswirkung dieser Aussage zu begreifen.
»Dann vergessen wir das«, hatte sie nachgegeben. »Aber wenn sie es noch einmal wagt, sich hier zu zeigen, dann unterschreib bloß nichts.« Und sie war gegangen und hatte die Unterlagen zur Sicherheit mitgenommen und stattdessen einen Stapel Informationen über die Bombenopfer dagelassen. Er war froh darüber. Es lenkte ihn von Edmund Arthur Blythe ab.
Und deshalb hatte er um Punkt sieben Uhr am Montagmorgen per E-Mail das Companies House, die Behörde, die das Handelsregister führte, um Informationen über die Firma B&R gebeten. Während er wartete, dass man ihm die Ergebnisse der Suche schickte, begann er, sich durch die Liste von Yousef Aziz’ Opfern durchzuarbeiten.
Es war eine niederschmetternde Aufstellung. Acht Kollegen von einer Versicherung, die die Geburt eines Kindes feierten; der Rektor einer Grundschule und seine Frau; die Führungskräfte der Firma, die die Computer für die Grundschule gestiftet hatte, und ihre Gäste; drei Musiker einer hiesigen Band, die gerade ihre
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