Schleichendes Gift
mit den gekonnt eingefärbten Strähnen wie bei einem Surfer war jetzt glatt und dunkel, weil Schönheitspflege im Krankenhaus nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste stand. Und ausgerechnet Elinor würde diesem lebenden Bild gleich den letzten Funken Hoffnung rauben.
Sie machte einen Schritt nach vorn und räusperte sich taktvoll. Nur Denby bemerkte, dass sie gekommen war, drehte sich um, nickte ihr kurz zu und führte sie vom Bett weg auf den Raum zu, wo die Schwestern ihr Büro hatten. Denby lächelte den beiden Schwestern vor den Monitoren zu und sagte: »Könnten Sie uns einen Moment allein lassen?«
Beide sahen nicht gerade erfreut aus, von ihrem angestammten Platz verdrängt zu werden, aber sie waren daran gewöhnt, Anordnungen von Oberärzten zu befolgen. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, zog Elinor die Testergebnisse aus der Tasche und reichte sie ihm. »Nichts Gutes«, sagte sie.
Denby las den Bericht mit unbewegtem Gesicht. »Da kann es keinen Zweifel geben«, murmelte er.
»Was machen wir jetzt?«
»Ich sage es den Eltern, Sie sagen es Mr. Flanagan. Und wir tun alles, was wir können, um dafür zu sorgen, dass Mr. Bishop in seinen letzten Stunden so wenig wie möglich leiden muss.« Denby war schon im Begriff, sich abzuwenden und zur Tür zu gehen.
»Und die Polizei?«, fragte Elinor. »Jetzt müssen wir es ihnen doch auf jeden Fall sagen, oder?«
Denby sah bestürzt aus. »Ich nehme an, ja. Tun Sie das doch, während ich mit Mr. und Mrs. Bishop spreche.« Und schon war er weg.
Elinor saß am Schreibtisch und starrte auf das Telefon. Schließlich nahm sie den Hörer ab und bat die Zentrale, sie mit der Polizei Bradfield zu verbinden. Die Stimme, die sich meldete, klang sachlich und energisch. »Mein Name ist Elinor Blessing, und ich bin Assistenzärztin am Bradfield Cross Hospital«, begann sie und verlor fast den Mut, als sie daran dachte, wie unwahrscheinlich ihre Nachricht klingen würde.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich glaube, ich müsste mit jemandem von der Kripo sprechen. Ich muss eine ungeklärte Todesursache melden. Also, wenn ich von einem Todesfall rede … eigentlich lebt er noch. Aber er wird bald sterben.« Elinor wand sich vor Verlegenheit. Sie konnte sich doch wohl besser ausdrücken.
»Wie bitte? Ist etwas passiert? Ein Überfall?«
»Nein, so etwas nicht. Na ja, rein technisch betrachtet doch, aber nicht derart, wie Sie denken. Hören Sie, ich will keine Zeit damit verschwenden, die Sache mehrmals zu erklären. Könnten Sie mich einfach zur Kriminalpolizei durchstellen? Zu jemandem, der sich um Mordfälle kümmert.«
Dienstags legte Yousef Aziz immer Wert darauf, bei seinem wichtigsten Zwischenhändler vorbeizuschauen. Da er wusste, was er wusste, war es schwierig, sich zu motivieren, aber seinen Eltern und seinen Brüdern zuliebe zwang er sich, mehr zu tun, als den Schein zu wahren. Das zumindest schuldete er ihnen. Die Textilfirma seiner Familie hatte angesichts heftiger Konkurrenz überlebt, weil sein Vater verstand, von welch großem Wert persönliche Beziehungen im Geschäftsleben sind. Das hatte er seinen zwei ältesten Söhnen als Allererstes beigebracht, als er sie in seine Firma First Fabrics einführte. »Kümmert euch immer gut um eure Kunden und Zulieferer«, hatte er erklärt. »Wenn man sie zu Freunden macht, ist es schwer für sie, einen in schlechten Zeiten fallenzulassen. Und als erste Regel im Geschäftsleben gilt, dass früher oder später und immer mal wieder schlechte Zeiten kommen werden.«
Er hatte recht gehabt. Denn er hatte den Zusammenbruch des Textilgeschäfts im Norden überstanden, als die Billigimporte aus Fernost die britische Textilproduktion praktisch ausgelöscht hatten. Mit knapper Not hatte er an seiner Firma festgehalten, war immer einen Schritt voraus gewesen, und als er seine Kosten nicht weiter reduzieren konnte, hatte er die Qualität seiner Waren erhöht und sich neue Marktsegmente weiter oben erobert. Und jetzt passierte dies alles erneut. Diesmal sorgten die Kunden für Veränderungen. Kleider waren spottbillig, kurzlebige Modelle gab es in den Filialen der großen Ketten für ein paar Groschen. Billig kaufen, einmal tragen und weg damit. Die neue Denkweise hatte ohne Rücksicht auf Klassenunterschiede eine ganze Generation erfasst. Mädchen, deren Mütter lieber Gift genommen hätten, als einen Modeladen voller Schnäppchen zu betreten, trafen im Matalan und TK Maxx auf Mütter, die selbst noch
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