Schleichendes Gift
Teenager waren und von Sozialhilfe lebten. Also hielten sich Yousef und Sanjar an das erprobte Überlebensrezept.
Und er hasste es. Damals, als sein Vater die Firma gegründet hatte, waren seine Kontakte meistens Leute aus anderen asiatischen Ländern gewesen. Aber als First Fabrics sich stabilisiert und einen festen Platz erobert hatte, mussten sie sich mit allen möglichen Zeitgenossen befassen. Juden, Zyprioten, Chinesen, Briten. Und die hatten eines gemeinsam: Sie taten, als gäben ihnen der 11. September und der 7. Juli das Recht, jeden Moslem mit Misstrauen und Verachtung zu behandeln. Alle Missverständnisse und geradezu mutwillige Missdeutungen des Islam dienten als perfekter Vorwand für Rassismus. Sie wussten, dass es nicht mehr akzeptabel war, sich offen fremdenfeindlich zu geben, und so suchten sie andere Möglichkeiten, ihre Vorurteile zum Ausdruck zu bringen. All das Zeug über Frauen mit Kopftuch. Die Beschwerden darüber, dass sie dauernd Arabisch oder Urdu sprächen statt Englisch. Verdammt noch mal, waren die noch nie in Wales gewesen? Geh dort mal in eine Kaffeebar, da kommt es einem vor, als hätte niemand jemals Englisch gelernt.
Was Yousef fast mehr als alles andere ärgerte, war die Art und Weise, wie er von Menschen behandelt wurde, die er schon jahrelang kannte. Ging er zum Beispiel in eine Fabrik oder ein Lager, wo er schon die ganzen sieben Jahre ein- oder verkaufte, seit er für seinen Vater arbeitete, dann glitten – statt dass man ihn beim Namen rief, begrüßte und lachend über Fußball, Kricket oder was auch immer sprach – die Blicke seiner Bekannten jetzt von ihm ab, als sei er eingeölt. Oder sie waren so scheißfreundlich, dass er sich herablassend behandelt vorkam, so als seien sie nur nett, damit sie ihre Kommentare im Pub einleiten konnten mit: »Also, natürlich sind einige von meinen besten Freunden Moslems …«
Aber heute verdrängte er seinen Zorn. Es würde ja schließlich nicht immer so bleiben. Wie um seinen Gedanken zu bestätigen, klingelte sein Handy gerade, als er in den Parkplatz hinter Howard Edelsteins Fabrik einbog. Er erkannte den Klingelton, lächelte und hielt das Telefon ans Ohr. »Wie geht’s denn?«, sagte die Stimme am anderen Ende.
»Alles läuft nach Plan. Es ist super, von dir zu hören, ich hatte heute Vormittag keinen Anruf erwartet.«
»Ein Meeting wurde gestrichen. Ich dachte, ich melde mich mal kurz, nur um sicherzugehen, dass alles im Lot ist.«
»Du weißt ja, dass du dich auf mich verlassen kannst«, versicherte Yousef. »Wenn ich sage, dass ich etwas tun werde, dann ist es so gut wie erledigt. Mach dir keine Sorgen darüber, dass ich mich drücken könnte.«
»Das ist das Einzige, weswegen ich mich wirklich nicht sorge. Du weißt, dass wir das Richtige tun.«
»Ja. Und ich sage dir, an Tagen wie heute bin ich froh, dass wir uns entschlossen haben, es so zu machen.«
»Schlechter Tag für dich?« Die Stimme klang mitfühlend und warm.
»Diese Arschkriecherei, ich hasse sie. Aber ich werde das ja nicht viel länger machen.«
Ein glucksendes Lachen am anderen Ende. »Das steht fest. Nächste Woche um diese Zeit sieht die Welt ganz anders aus.«
Bevor Yousef antworten konnte, erschien die vertraute große Gestalt Howard Edelsteins selbst neben seiner Wagentür, er winkte kurz und wies mit dem Daumen auf das Gebäude. »Ich muss gehen«, erklärte Yousef. »Wir sehen uns.«
»Du kannst dich darauf verlassen.«
Yousef schob das Handy mit dem Daumen zu und sprang mit einem Lächeln im Gesicht aus dem Wagen. Edelstein nickte ihm ohne Freundlichkeit zu. »Also, erledigen wir das dann doch«, sagte er und ging ins Gebäude voraus, ohne zu warten oder nachzusehen, ob Yousef ihm folgte.
Nächste Woche um diese Zeit , dachte Yousef. Nächste Woche um diese Zeit, du Dreckskerl .
Carol starrte Thomas Denby an und nahm sein Bild in sich auf. Früh ergrautes silbriges Haar, aus der Stirn gekämmt, eine einzelne Locke lose über eine Augenbraue fallend. Grünblaue Augen, rosige Haut. Ein wunderbar geschnittener dunkelgrauer Nadelstreifenanzug, die offene Jacke ließ ein extravagantes rotes Futter erkennen. Er hätte für ein Porträt vom Archetyp des erfolgreichen jungen Facharztes Modell sitzen können. Aber wie einer, der es für spaßig halten würde, eine leitende Polizeibeamtin zu veräppeln, sah er absolut nicht aus. »Also, lassen Sie mich das klären. Sie melden einen Mord, der noch nicht passiert ist?« Sie hatte keine Lust,
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