Schleichendes Gift
mehr Sorgen machen als darüber, wer Robbie Bishops E-Mails las.
Carol starrte ungläubig auf den Bildschirm. Die Mailbox, die Stacey für die Antworten der »Best Days of Our Lives«-Abonnenten eingerichtet hatte, enthielt schon über zweihundert Nachrichten. Sie warf Stacey einen verwirrten Blick zu. »Ich glaube, das beweist, dass Sie mit Ihrem Argument recht hatten, wir sollten die Online-Gemeinschaft auf unsere Seite holen«, konstatierte sie trocken. »Welche Fragen haben Sie ihnen denn genau gestellt?«
Stacey schien gelangweilt. »Was sich so anbietet. Wann sie zur Schule gegangen sind, ob sie Robbie gekannt haben, alles, was sie uns aus eigener Erfahrung über Robbie in der Schulzeit oder seit damals sagen können. Was sie am Donnerstagabend getan haben. Wer das bestätigen kann. Und ob sie irgendwelche klugen Ideen haben, wer Interesse an Robbies Tod haben könnte und warum.« Sie versuchte zu lächeln. »Ich nehme an, einige Leute werden vielleicht die Bonzen vorschlagen, denen Chelsea und Manchester United gehören.«
Carol fand nichts an Staceys Logik auszusetzen. »Okay. Chris und Paula, ich möchte, dass ihr sie unter euch aufteilt. Sucht die möglicherweise Verdächtigen heraus. Druckt die Fotos aus. Und heute Abend geht’s mit den Bildern wieder ins Amatis. Mal sehen, ob jemand von den Gästen oder dem Personal an der Bar irgendwelche Gesichter wiedererkennt.«
Chris beugte sich vor, um den Bildschirm genauer in den Blick zu nehmen. »Das ist eine Riesenaufgabe. Da sind in der Zeit, während wir geredet haben, schon wieder vier hereingekommen. Wir werden vielleicht noch Helfer brauchen.«
»Alles klar. Seht mal zu, wie weit ihr heute Vormittag kommt. Wenn es zu lang dauert, organisieren wir Hilfe.« Carol sah sich im Raum um. »Sam, woran arbeiten Sie?«, erkundigte sie sich.
»Robbies E-Mails«, antwortete er, ohne aufzusehen.
»Okay, wenn Chris und Paula Unterstützung brauchen, können Sie das zurückstellen und sich einschalten.« Carol rief sich ins Gedächtnis, was alles getan werden musste. Kevin sorgte dafür, dass die Gaben und Trauerkarten unten beim Victoria-Park-Stadion richtig aufgenommen und ausgewertet wurden. Er würde irgendwann mit zusätzlichen möglichen Hinweisen zurückkommen, die genau überprüft werden mussten. Es lief allerhand. Aber die Frage war, ob es einen Sinn ergab. Bewegten sie sich in die richtige Richtung? Und wenn ja, woran würden sie erkennen, dass dies der Fall war?
Bei solchen Gelegenheiten vermisste Carol Tonys Ideen, auf die sie sich sonst verlassen konnte, so verrückt sie auch manchmal schienen. Auch sie selbst hatte keine Angst, außerhalb der gewohnten Bahnen zu denken. Aber es war immer angenehmer, ein Risiko einzugehen, wenn man vom Sicherheitsnetz aus dazu ermutigt wurde.
Zumindest konnte sie sich bei diesem Team darauf verlassen, dass sie unter die Oberfläche vordringen würden. Wenn es etwas zu finden gab, dann würden sie es aufspüren. Schwierig war nur herauszubekommen, was es bedeutete und wohin es führte. Aber im Moment konnte sie lediglich warten.
Yousef fand, dass es immer besser sei, aus den Fehlern anderer zu lernen, als eigene zu machen. Wie zum Beispiel die der Londoner Bombenleger. Sie hatten sich getroffen und waren als Gruppe im Zug nach London hineingefahren. Als der Objektschutz die Aufnahmen der Überwachungskameras zu überprüfen begann, fielen sie auf. Sie waren leicht zu entdecken und im Blick zu behalten, folglich war es nicht schwer, ihnen die Schuld zu geben. Es war leicht, sie zu ihren Wohnungen zurückzuverfolgen und ihre Freundschafts- und Hilfsnetzwerke aufzudröseln.
All dies wäre viel langsamer vonstattengegangen, wenn sich jeder allein an seinen Zielort begeben hätte. Die Sicherheitskräfte nach dem Anschlag abzulenken war auf jeden Fall am besten, aber wenn das nicht klappte, wäre es viel besser, ihnen Steine in den Weg zu legen, als es ihnen leicht zu machen. Am sichersten wäre es, wenn sie in der Zeit vor dem Attentat möglichst wenig Kontakt untereinander hätten. Da die Briten das am besten überwachte Volk der Welt sind, die meisten Bänder von Überwachungskameras aber nicht länger als zwei Wochen gespeichert werden, hatten sie sich darauf geeinigt, sich während dieser Zeit nur im Notfall zu treffen. Sie würden den Kontakt auf ein Minimum beschränken und sich wenn nötig mit einem verabredeten Code per SMS verständigen. Das Zielobjekt würde als »das Haus« und die Bombe als »Dinner«
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