Schleichendes Gift
gehabt, er gehe gerade noch so als normaler Mensch durch. Es war eine Maskerade, die nicht immer alle Leute überzeugte. Und die Beinschiene würde dabei bestimmt auch nicht helfen, das stand fest.
Was natürlich keine Rolle spielte, weil er sowieso nicht nach Dore fahren und selbst dort herumschnüffeln konnte. Tony seufzte frustriert. Dann weiteten sich seine Augen plötzlich. Es gab jemanden, der mit Charme sogar aus einem Trappisten Informationen herausholen konnte. Und der ihm einen Gefallen schuldete.
Tony lächelte und griff nach dem Telefon.
Carol sah hinaus auf ihr Team. Alle starrten entweder auf einen Monitor oder waren in ein Telefongespräch vertieft. Sie zog ein Wodkafläschchen aus ihrer Schublade, schraubte unter dem Schreibtisch den Deckel ab und kippte den Inhalt diskret in ihren Kaffee. Sie hatte durch die seelischen Verletzungen, die sie sich bei ihrer Arbeit zugezogen hatte, gelernt, dass Alkohol zwar ein guter Freund, aber auch ein schlechter Meister war. Sie war nahe daran gewesen, sich ihm zu unterwerfen, hatte sich aber aus dieser Situation wieder herausgekämpft und konnte sich nun ohne weiteres einreden, sie habe alles im Griff. Sie betrachtete es als die Wahrheit, dass er in Zeiten von Stress und Frust, Zeiten wie dieser, ihre Zuflucht war und ihr Stärke gab. Besonders wenn Tony nicht da war.
Nicht dass er sie tadeln würde, jedenfalls nicht so offensichtlich. Nein, es war eher so, dass seine Anwesenheit ein Vorwurf für sie war, eine Erinnerung daran, dass es andere Möglichkeiten gab zu entkommen. Möglichkeiten, die sie schon mehrmals fast genutzt hatten. Aber immer, wenn sie fast so weit waren, kam etwas dazwischen. Gewöhnlich war es etwas, das mit der Arbeit zu tun hatte. Es war die reinste Ironie. Was sie zusammenbrachte, legte ihnen zugleich unaufhörlich Hindernisse in den Weg. Und sie konnten beide keinen Weg finden, diese Hindernisse zu überwinden, bis dann die Gelegenheit vorbei war.
Sie trank langsam ihren Kaffee und genoss seine Wirkung, die sich angenehm ausbreitete. Guter Gott, sie brauchten einfach etwas, das ihnen in diesem Fall einen Durchbruch brachte.
Als sei es eine Antwort auf ihren leidenschaftlichen Wunsch, erschien Sam Evans’ Kopf in der Tür. Carol nickte, er solle hereinkommen. Sam gegenüber verspürte sie immer eine gewisse Zwiespältigkeit. Sie wusste, dass er ehrgeizig war, und weil sie das früher auch gewesen war, verstand sie sowohl, wie wertvoll, aber auch, wie gefährlich das für einen Polizisten war. Sie erkannte auch in seiner einzelgängerischen Neigung eine Parallele zu ihrem früheren Selbst. Er hatte keinen Teamgeist. Aber sie hatte auch über keinen verfügt, als sie noch seinen Dienstgrad hatte. Sie war erst zu einer Teamspielerin geworden, als sie ein Team gefunden hatte, für das zu spielen sich lohnte. Sam hatte genug Ähnlichkeiten mit ihr, dass sie ihn verstehen und ihm folglich auch verzeihen konnte. Was sie ihm nicht nachsehen konnte, war seine Heimlichtuerei. Sie wusste, dass er seinen Kollegen hinterherspionierte, allerdings machte er es so gut, dass sie es nicht bemerkt hatten. Einmal hatte er sie bei Brandon in die Bredouille gebracht, damit seine eigenen Ergebnisse besser aussahen, als sie waren. Unterm Strich war es so, dass sie ihm nicht vertrauen konnte, was immer mehr zu einer Belastung wurde, je länger die Gruppe bestand und arbeitete.
»Ich glaube, ich hab vielleicht etwas, Chefin«, verkündete er und setzte sich mit etwas wichtigtuerischem Gehabe auf einen Stuhl. Er zog seine Hose an den Knien hoch, um die Bügelfalte zu schonen, und nahm die Schultern im gut gebügelten Hemd zurück.
Sie wagte kaum, sich etwas von ihm zu erhoffen. »Was für ein Etwas?«
Er warf die Original-E-Mail auf den Tisch und gab ihr einen Moment Zeit, sie zu lesen. »Ich habe mit Bindie gesprochen. Dieser Stalker, Rhys Butler, hat sich vor dem Teamhotel in Birmingham auf Robbie gestürzt. Die Polizei hat ihn mitgenommen und mit einer Verwarnung wieder laufenlassen. Ich habe mit dem Kollegen gesprochen, der ihn verhaftet hat. Sie haben ihn mit Nachsicht behandelt, weil Robbie und Bindie keine Publicity wollten. Jedenfalls hat dieser DC Singh Butler im Auge behalten. Ist bei ihm zu Hause vorbeigegangen, hat dafür gesorgt, dass er seine Wichsbilder von der Wand nahm und sich von den beiden fernhielt. Butler schwor, er sei darüber weg. Er hatte seine Arbeit verloren, und das hätte ihm den Rest gegeben, behauptete er. Ein paar Monate
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