Schleichendes Gift
du in deiner eigenen Zeit machst, ist deine Sache. Solange du nichts tust, was laufende Ermittlungen stört.«
»Aber sollte ich denn überhaupt etwas tun?« Im Laufe des Abends war Paulas Überzeugung geschwunden, dass das, was Tony verlangte, in Ordnung war.
Chris legte die Hände flach auf den kleinen Tisch in der Bar, die Daumen an der Unterkante, als wollte sie ihn mit einer schnellen Bewegung umkippen. Sie sah auf ihre sorgfältig manikürten Fingernägel hinunter. »Es gab mal jemanden, dem ich einen Gefallen zu schulden glaubte. So ungefähr wie du Tony, aber aus anderen Gründen. Sie bat mich um etwas. Nur eine Telefonnummer. Eine Nummer, die ich leicht, sie aber gar nicht bekommen konnte, ohne dass ihr dazu eine Menge Fragen gestellt worden wären. Jedenfalls tat ich das, was nötig war. Und das war der erste Schritt auf einem Weg, an dessen Ende sie umkam.« Chris schniefte heftig und sah Paula dann direkt in die Augen. »Ich mache mir keine Vorwürfe wegen dem, was geschehen ist. Wenn ich ihr den Gefallen nicht getan hätte, hätte sie eine andere Möglichkeit gefunden, das zu bekommen, was sie wollte. Aber es ist wichtig für mich, dass ich da war, als sie mich um Hilfe bat. Wenn ich jetzt an sie denke, weiß ich, dass ich sie nicht im Stich gelassen habe.« Chris ließ den Tisch los und warf Paula ein wehmütiges Lächeln zu. »Es ist deine Entscheidung. Du weißt, wie es ist, mit den Folgen zu leben. Du musst darüber nachdenken, wie du diese Sache in sechs Monaten oder in einem Jahr sehen wirst.«
Paula war gerührt. Chris sprach nicht oft über persönliche Dinge, nicht einmal mit ihr. Sie wusste, dass alle meinten, es gäbe eine besondere Verbindung zwischen ihnen, weil sie beide Lesben waren, aber da irrten sie sich. Chris behandelte Paula genau wie jeden anderen. Keine extra Gefälligkeiten. Keine geheimen Vertraulichkeiten. Nur ein Sergeant und ein Constable, die einander in beruflichen Dingen Respekt erwiesen und das, was sie voneinander wussten, sympathisch fanden. Paula war damit zufrieden. Sie hatte genug Bekannte außerhalb der Arbeit, und das eine Mal, als sie sich zu einer engen Freundschaft mit einer Kollegin hatte hinreißen lassen, war ihr daraus so viel Kummer erwachsen, dass sie gar nicht daran denken wollte. Aber die Erkenntnis von heute Abend hatte sie daran erinnert, dass sie immer noch eine Menge über ihre Vorgesetzte zu lernen hatte. Sie nickte. »Ich habe verstanden. Die Frage ist nur, wann ich es weiterverfolgen kann. Es ist ja nicht so, als würde diese Sache hier sich von selbst erledigen.«
Chris sah auf ihre Uhr. »Du könntest bis neun in Sheffield sein, wenn du jetzt losfährst. Das würde dir Zeit geben, dich mit den Gästen in der Kneipe zu unterhalten. Und wenn du in einem billigen Motel übernachtest, könntest du gleich morgen früh mit der Haushälterin sprechen.«
Paula schien überrascht. »Aber ich soll doch …«
»Kevin und ich können das im Amatis machen. Es ist wahrscheinlich sowieso verschwendete Zeit. Ich werde dich morgen früh decken. Wenn Carol in Newcastle Glück hat, wird sie gar nicht bemerken, dass du nicht da bist.«
»Wenn sie Vernehmungen durchführt, könnte es ihr schon auffallen. Sie nimmt mich gern dazu, wenn es heikel wird.«
»Stimmt.« Chris lächelte. »Ich werde zwei Stunden für dich rausschinden. Ich kann ihr sagen, du seist so erschöpft gewesen, dass ich dir geraten hätte, dir Zeit zu lassen. Aber du musst deinen Teil tun. Du musst dafür sorgen, dass du gleich morgen früh die Haushälterin erwischst. Meinst du, in Rotherham wäre man für ein Arbeitsfrühstück empfänglich?«
Paula grinste. »Sie ist Polin. Die arbeiten doch rund um die Uhr. Sie wird einen ganz frühen Termin bekommen.«
Chris schob den Stapel Fotos zu ihr hinüber. »Die solltest du mitnehmen. Wenn es der gleiche Mörder ist, ist er vielleicht dabei.«
»Und du und Kevin?«
»Ich drucke sie noch mal aus. Es wird nicht lange dauern, Stacey hat ja die Datei zusammengestellt. Wenn ich sie jetzt anrufe, wird sie alle fertig haben, bis ich ausgetrunken habe und wieder zurück bin.« Sie nahm ihr Glas. »Und du musst dich auf die Socken machen.«
Paula brauchte keine zweite Aufforderung. Sie sammelte die Bilder ein und ging mit federnden Schritten zur Tür. Sie wollte nicht daran denken, wie unangenehm es wäre, zu beweisen, dass Carol Jordan unrecht hatte. Sie wollte sich darauf konzentrieren, zu untermauern, dass Tony Hill recht hatte.
Paula hatte
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