Schleier der Täuschung
aus, hoch über dem mit Matten ausgelegten Boden des Raumes, der sich tief im Innern des Jedi-Tempels befand. Bereits seit dem frühen Morgen trainierten die Schüler hier, doch nur ein paar von ihnen zeigten Anzeichen der Erschöpfung.
»Es kommt mir vor, als wäre ich erst gestern dort unten gestanden«, sagte Obi-Wan.
Qui-Gon lächelte schief. »Bei mir ist es definitiv länger als ein Gestern her.«
Obwohl über zwanzig Jahre die beiden Männer trennten, hatten sie ihre Jugend im Tempel ganz ähnlich verbracht, so wie alle Jedi, ob nun Padawane, Ritter oder Meister. Die Macht offenbarte sich einem empfindsamen Wesen bereits im Kleinkindalter, und die meisten potenziellen Jedi wurden in den Tempel gebracht, noch ehe sie sechs Monate alt waren. Sie wurden entweder auf Coruscant oder anderen Welten von voll ausgebildeten Jedi entdeckt, oder aber von Familienmitgliedern in den Tempel gebracht. In der Regel wurden anschließend Tests durchgeführt, um zu ermitteln, wie stark die Macht in diesem Wesen war, ob nun männlich oder weiblich, menschlich oder von anderer Spezies. In welche Richtung ein Anwärter sich entwickeln würde, ließ sich dabei aber nur bedingt erkennen. Niemand konnte vorhersagen, ob er zum Schutz von Frieden und Gerechtigkeit sein Lichtschwert erheben oder sein Leben dem Dienst im Agrikultur-Korps widmen würde, um die Armen und Notleidenden der Galaxis vor dem Hungertod zu retten.
»Ich hatte bei jeder Übung Angst, dass ich vielleicht nicht genügend Temperament hätte, um ein Padawan zu werden, ganz zu schweigen von einem Jedi-Ritter«, erzählte Obi-Wan. »Ich kämpfte aggressiver als jeder andere, um meine Selbstzweifel zu verbergen.«
Qui-Gon blickte ihn aus den Augenwinkeln an, die Arme vor der Brust verschränkt. »Hättest du noch aggressiver gekämpft, wärst du jetzt zweifelsohne noch immer im Agrikultur-Korps, Padawan. Erst, als du nicht mehr versuchtest, die Einheit mit der Macht zu erzwingen, hast du deinen Pfad gefunden.«
»Ich konnte mich einfach nicht auf den Moment konzentrieren.«
»Das kannst du noch immer nicht.«
Vor zwölf Jahren war Obi-Wan dem Agrikultur-Korps auf dem Planeten Bandomeer zugewiesen worden. Erst dort hatte er ein Vertrauensverhältnis zu Qui-Gon aufgebaut, dessen voriger Padawan der dunklen Seite der Macht verfallen war und sich vom Jedi-Orden abgewandt hatte. Trotz des Bandes, das ihn und Qui-Gon seit jener Zeit verband, gab es doch Momente, in denen er bezweifelte, dass er die Anforderungen an einen Jedi-Ritter erfüllen konnte.
»Aber wie kann ich sicher sein, dass es nicht mein Schicksal war, dem Agrikultur-Korps zu dienen? Vielleicht führte unser Treffen auf Bandomeer mich auf einen Pfad, der mir überhaupt nicht vorbestimmt war.«
Nun wandte Qui-Gon sich ganz zu ihm um. »Uns stehen viele Pfade offen, Obi-Wan, aber nicht jeder hat das Glück, den Weg zu finden, den die Macht für ihn vorgesehen hat. Was fühlst du, wenn du deine bisherigen Entscheidungen Revue passieren lässt?«
»Ich fühle, dass ich den richtigen Pfad gefunden habe, Meister.«
»Das fühle ich auch.« Qui-Gon klopfte Obi-Wan auf die Schulter und blickte mit einem Lächeln wieder hinunter. »Aber ich bin mir sicher, du wärst ein großartiger Feldarbeiter geworden.«
Die Schüler knieten sich nun in zwei Reihen auf den Boden, sodass ihre Oberschenkel auf den Waden ruhten, die Füße hinter sich überkreuzt, und plötzlich herrschte völlige Stille im Raum, unterbrochen nur von den Schritten des Schwertmeisters, als er auf nackten Füßen über die Bodenmatte schritt und jeden seiner Studenten musterte.
Er hieß Anoon Bondara und war ein Twi’lek mit dünnen Kopftentakel und muskulösem Oberkörper, obendrein ein wahrer Meister des Schwertkampfes. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit forderte Qui-Gon ihn zu Übungskämpfen heraus, denn ein Duell mit Bondara – ganz egal, wie kurz es sein mochte –, war lehrreicher als zwanzig Kämpfe mit anderen Gegnern.
Der Lehrer blieb vor einem jungen Menschenmädchen namens Darsha Assant stehen, das gleichzeitig seine Padawanschülerin war, dann ging er in die Hocke, um ihr auf gleicher Höhe in die Augen blicken zu können.
»Was hast du bei deinen Angriffen gefühlt?«
»Was ich gefühlt habe, Meister?«
»Was war in deinen Gedanken? Was war dein Ziel?«
»Ich wollte, dass meine Angriffe so mächtig wie möglich sind.«
»Du wolltest gewinnen.«
»Nicht gewinnen, Meister. Ich wollte einen perfekten Angriff
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