Schleier des Herzens (German Edition)
endlich versiegten, brauchten sie Stunden, um ihr verschwollenes Gesicht mit kühlenden Essenzen und all ihren Schminkkünsten wieder in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen. Schließlich hüllten sie Beatriz aber doch wieder in einen nachtblauen Tschador, nachdem sie ihr vorher in die topasfarbenen Gewänder geholfen hatten, die der große Eunuch für sie ausgewählt hatte.
Sechs Eunuchen, gestellt von ihrem neuen Herrn, warteten vor dem Haus auf Beatriz. Wieder bat man sie, in einer Sänfte Platz zu nehmen, diesmal allerdings in einer fest geschlossenen. Niemand sollte auch nur den Hauch eines Blickes auf die Sayyida werfen können, die eben einen der höchsten Preise erzielt hatte, der je in Granada für eine Sklavin gezahlt worden war. Auch Beatriz blieb jeder Ausblick auf die Straßen der Stadt verwehrt. Aus Ayeshas Erzählungen wusste sie, dass dies von nun an immer so bleiben würde. Vornehme Frauen verließen den Harem ihrer Herren praktisch nie, und wenn, dann beförderte man sie in diesen geschlossenen Sänften. Beatriz hatte am Anfang kurz an Flucht gedacht, aber auch das war hoffnungslos. Die Eunuchen waren bärenstark undhätten sie unzweifelhaft unsanft zurückgeholt. Und wohin hätte sie auch gehen sollen?
Beatriz war allein. Mutterseelenallein.
Es war bereits dunkel, als man sie schließlich vor dem Haus ihres neuen Herrn absetzte. Wieder ein Innenhof, wieder ein Springbrunnen – maurische Häuser schienen alle mehr oder weniger im gleichen Stil erbaut zu sein.
Beatriz wusste nicht recht, was man von ihr erwartete. Musste sie dem Mann heute noch zu Willen sein, oder gab man ihr Zeit zur Eingewöhnung? Verzweifelt überlegte sie, dass ihr nicht einmal das Wort ›nein‹ auf Arabisch geläufig war. Die Eunuchen führten sie durch zwei Höfe, beide von Fackeln erhellt und gärtnerisch erlesen schön gestaltet, soweit man das in der Nacht erkennen konnte.
Zuletzt schloss sich eine schwere, hölzerne Tür hinter ihr. Die Eunuchen verbeugten sich. Einer von ihnen lächelte sie fast verschwörerisch an und versuchte dann ein paar Worte in der Sprache Kastiliens: »Hier Harem. Du willkommen!«
Beatriz war zu erschöpft, um ihm zuzunicken. Der Eunuch schien das zu verstehen. Ehrerbietig wies er auf einen Diwan und ein Tischchen davor. Auf einem Stövchen darauf brodelte das tiefbraune Getränk, das auch Ibn Saul so gern servierte. Daneben standen eine Schale Gebäck und eins der winzigen Tässchen. Der Eunuch bedeutete Beatriz, sich zu setzen.
»Du warten. Ich holen Su-anna.«
Der zweite Eunuch nahm dem Mädchen den Tschador ab und füllte das Tässchen für sie. Beatriz probierte einen Schluck. Das Getränk schmeckte stark, bittersüß und belebend. Beatriz sah sich um, während sie trank. Das Zimmer war ähnlich gestaltet wie die Räume in Ibn Sauls Harem, aber sie wirkten persönlicher und wohnlicher.Natürlich, hier lebten die Frauen ständig, nicht nur für wenige Tage wie im Hause des Händlers. Wie nicht anders zu erwarten, war die gesamte Ausstattung prunkvoll. Die Wände waren kunstvoll mit exotischen Ornamenten bemalt, die Teppiche so dick, dass man darin versank, die Kissen auf dem Diwan goldbestickt. Das Holztischchen bestand aus wertvollster Intarsienarbeit, wieder die typischen, orientalischen Rauten und Ranken. Beatriz bewunderte auch das hauchdünne Porzellan des Tässchens. So etwas wurde in China hergestellt. In Kastilien kostete es ein Vermögen.
»Guten Abend! Verzeiht meine Verspätung, mir wurde nicht gesagt, wann genau Ihr eintrefft.« Unbemerkt von Beatriz war eine kleine, etwas rundliche Frau eingetreten. Sie trug granadinische Tracht, aber ihr Gesicht und ihr schon leicht ergrautes Haar wiesen sie ziemlich sicher als Kastilianerin aus. Ihr Spanisch war akzentfrei. Sie lächelte Beatriz warmherzig an. »Lasst mich Euch von ganzem Herzen im Haus meines Herrn willkommen heißen! Ich bin Susanna. Solange Ihr die Sprache noch unvollkommen beherrscht und keine anderen Wünsche äußert, werde ich Euch als persönliche Zofe dienen.«
Beatriz fiel ein Stein vom Herzen. Ein Mensch, der ihre Sprache sprach! Und offensichtlich eine Leidensgefährtin, denn Susanna war bestimmt nicht freiwillig nach Granada gekommen.
»Ihr seid ...«
»Eine Landsmännin von Euch, natürlich. Ich stamme aus Murcia. Darf ich Euch nun in Eure Gemächer geleiten? Es ist spät, Ihr wollt sicher zu Bett gehen ...«
Susanna wirkte freundlich und mütterlich. Als Beatriz beim Aufstehen leicht schwankte,
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