Schleier des Herzens (German Edition)
und zeigte ihr dann die Räumlichkeiten. Der Harem des Wesirs war groß, er bot Platz für sicher zweihundert Frauen. Zu dieser frühen Stunde waren die Bäder und Aufenthaltsräume allerdings noch nicht sehr belebt. Die wenigen Mädchen, die jetzt schon auf waren, schauten Beatriz neugierig an. Beatriz starrte ebenso interessiert zurück. Das also waren ihre ... ja, was eigentlich? Künftigen Freundinnen? Schwestern? Rivalinnen? Zumindest waren sie alle sehr schön. Al Khadiz’ Geschmack beschränkte sich nicht auf blonde, blauäugige Mädchen. Es gab auch dunkelhäutige Nubierinnen und Sklavinnen mit hohen Wangenknochen, dichtem, dunklem Haar und sinnlich verträumten Zügen.
Der Harem als solcher war luxuriös gestaltet, es gab aufwändige Bäder, kühle Innenhöfe und gemütliche Wohnräume. Die Frauen konnten sich in Gärten ergehenund in Pavillons zusammensitzen. Zu Beatriz’ Erstaunen gab es eine kleine Bibliothek, Schreib- und Leseräume. Susanna erklärte ihr, dass praktisch alle Maurinnen die Kunst des Schreibens und Lesens beherrschten. Sogar den Kindern weniger begüterter Schichten stand der Besuch öffentlicher Schulen frei.
»Ihr könnt es auch lernen, wenn Ihr wollt. Mein Herr sieht es gern, wenn seine Frauen gebildet sind, und Ihr werdet sonst nicht viel zu tun haben. Vielleicht werdet Ihr Euch auch mit dem Islam beschäftigen wollen – wenn es stimmt, dass mein Herr sich so nach Euch verzehrt, wie man im Harem flüstert, könnte er Euch einst zu seiner Gemahlin erheben wollen. Dann müsstet Ihr seinen Glauben annehmen.«
Beatriz schüttelte wild entschlossen den Kopf.
»Niemals! Dieser Mammar kann mich in diesem – goldenen Käfig einsperren. Aber ich werde ihm nie angehören, nie zu Willen sein!«
Sprühend vor Entschlossenheit berichtete sie Susanna von ihrer Entführung und dem Tod ihres geliebten Diego. »Ihr scheint alle zu glauben, ich müsste mich mit dieser Gefangenschaft abfinden! Aber das werde ich nicht! Ich lasse mich nicht brechen!«
Susanna hatte Beatriz inzwischen zurück in ihre eigenen Wohnräume geleitet. Sie wies das Mädchen an, sich zu setzen, und bürstete ihr das Haar. Beruhigend fuhr sie mit langen Strichen über die rotgoldene Flut.
»Liebes, Ihr müsst Euch beruhigen! Der Harem mag Euch jetzt schrecklich erscheinen, aber in Wahrheit ist es halb so schlimm. Sicher, die Fenster sind vergittert. Aber innerhalb dieser Mauern habt Ihr jede Freiheit, jeden Luxus, Ihr könnt tun, was Ihr wollt. Freilich müsst Ihr Euch dem Willen Eures Herrn unterwerfen – aber das ist in Kastilien ja auch nicht anders ...«
»Ich brauchte mich Diego nicht unterzuordnen!«, rief Beatriz empört. »Er Hebte und achtete mich, er ... betete mich an!«
Susanna lachte. »Aber wehe, Ihr hättet das Gebet einmal nicht erhört. Glaubt mir, Kleines, ich weiß, wovon ich rede. Ich bin nicht im Harem alt geworden, mein Gatte war ein Hídalgo in Kastilien. Oh, ja, er liebte mich, in zehn Jahren schenkte er mir neun Kinder, und meiner Hausmagd machte er drei. Wenn ich nicht im Kindbett lag, verwaltete ich seine Güter ...«
»Da habt Ihr es!«, trumpfte Beatriz auf und warf wild ihr Haar zurück. »Ihr wart eine freie Frau, seine Verwalterin, Ihr hattet Macht!«
Geduldig griff Susanna nach ihren rotgoldenen Strähnen und begann erneut, sie zu glätten und Juwelen hinein zu flechten.
»Ich verbrachte meine Zeit damit, unwilligen Bauern die letzten Kupferstücke als Steuer abzupressen. Während mein Gatte das Geld mit seinen Freunden verprasste. Hier eine neue Rüstung, da ein neues Pferd ... Das Leben eines Ritters ist teuer, mein Kind. Und auf einer Burg gibt es viele Mäuler zu stopfen.«
»Diego war nicht so!«, erklärte Beatriz, aber sie klang nicht sehr überzeugend. Konnte sie doch die letzten Worte ihres Vaters nicht vergessen: »Ein erlesenes Pferd! Und welch nobles Sattelzeug! Könnt Ihr es Euch leisten ...?«
Susanna zuckte die Schultern. »Wie auch immer, nun sind wir hier. Und auch, wenn ich mich oft nach meinen Kindern sehne: Selbst für eine Dienerin ist das Leben im Harem leichter als für eine Edelfrau in meinem Land. Anpassen und Unterordnen muss man sich überall. Im Harem herrscht die Mutter des Herrn, oder, nach ihrem Ableben, dessen Erste Gemahlin ...«
Eine erste und zweite und dritte bis zwanzigste Gemahlin! Es ist unglaublich! In welchen Albtraum bin ich da nur geraten?«
Beatriz schüttelte ungebärdig den Kopf und griff dann erneut in ihr Haar, als wollte sie den
Weitere Kostenlose Bücher