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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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weh. Und eine aufgeweichte, mürbe Khakijacke zerreißt, wenn zwei Männer den Kragen packen.
    Golightly erhob sich vom Boden, elend und schwindlig. Sein Hemd war über der Brust und fast über dem ganzen Rücken zerfetzt. Er ergab sich seinem Schicksal. Und in diesem Augenblick traf der Zug von Lahore ein mit einem von Golightlys Majoren.
    Der Bericht des Majors lautete wörtlich:
    »Aus dem Warteraum dritter Klasse drang ein Lärm wie von einer Rauferei. Ich ging hinein und sah den verrissensten Strolch, der mir je in meinem Leben vor Augen gekommen ist. Seine Stiefel und Hosen waren über und über mit Schmutz und Bierflecken bedeckt. Auf dem Kopf trug er etwas wie einen schmutziggrauen Komposthaufen. Die Fetzen hingen ihm über die zerschrammten Schultern. Das Hemd saß nur noch zur Hälfte an seinem Körper, und er forderte die Wache gerade auf, sich doch den Namen am unteren Zipfel anzusehen. Da er das Hemd gerade über den Kopf zog, konnte ich zuerst nicht sehen, wer es war. Aber ich war überzeugt, daß es ein Mann im ersten Stadium des Delirium tremens war, so fluchte er, während er an seinen Lumpen zerrte. Und dann drehte er sich um, und es war, – eine pastetengroße Beule über dem Auge, eine grünliche Bemalung des Gesichts und violette Streifen am Hals abgerechnet, – Golightly. Er war hocherfreut, mich zu sehen,« schloß der Major, »und sprach die Hoffnung aus, daß ich dem Kasino gegenüber schweigen würde. Ich habe es auchgetan, aber Sie können jetzt reden, wenn Sie wollen, denn jetzt ist Golightly wieder in England.«
    Golightly brachte den größten Teil des Sommers mit dem Versuche hin, den Unteroffizier und die beiden Soldaten vor das Kriegsgericht zu bringen, weil sie einen »Offizier und Gentleman« verhaftet hätten. Sie bedauerten den Irrtum natürlich unendlich. Aber die Geschichte fand ihren Weg in die Kantine und von dort aus in die ganze Provinz. –

Im Hause Suddhoos
    Suddhoos Haus unweit vom Taksali-Tor hat zwei Stockwerke, vier geschnitzte Fenster aus altem braunen Holz und ein flaches Dach. Man erkennt es an den fünf roten Handabdrücken auf der weißen Kalkwand zwischen den oberen Fenstern, ganz in der Stellung der Karo-Fünf. Im unteren Stock wohnen Bhagwan Daß, der Kornhändler, und ein Mann, der sich angeblich seinen Lebensunterhalt mit Stempelschneiden verdient, samt einer Schar von Weibern, Dienern, Freunden und Anhängern. Die beiden oberen Räume hatten früher Janoo und Azizun inne, mit einem kleinen schwarz und braun gefleckten Terrier, den ein Soldat einem Engländer gestohlen und Janoo geschenkt hatte. Heute wohnt nur noch Janoo in den oberen Räumen. Suddhoo schläft jetzt gewöhnlich oben auf dem Dache, wenn er nicht auf der Straße nächtigt. Früher pflegte er in der kalten Zeit nach Peschawar auf Besuch zu seinem Sohne zu gehen, der am Edwardstor mit Raritäten handelt, und dann schlief er unter einem wirklichen Lehmdach. Suddhoo ist mein guter Freund, denn sein Vetter hat einen Sohn, der dank meiner Empfehlung bei einer großen Firma unseres Ortes erster Markthelfer geworden ist. Suddhoo sagt, Gott wird mich eines Tages zum Vizegouverneur machen. So Gott will, wird diese Prophezeiung sich erfüllen. Suddhoo ist sehr, sehr alt, hat weißes Haar und kaum noch einen Zahn. Er hat seinen Verstand überlebt. Er hat fast alles überlebt, nur nicht die Liebe zu seinem Sohn. Janoo und Azizun sind Kashmiris, – sie sind viel auf der Straße – und geben einem seit altersher mehr oder minder ehrenwerten Berufe nach. Später hat Azizun einen Studenten der Medizin aus Nordwestindien geheiratet und führt seither ein höchstachtbares Leben irgendwo in der Nähe von Bareilly. Bhagwan Daß ist ein Wucherer und Fälscher. Er ist sehr reich. Der Mann, der vorgeblich seinen Lebensunterhalt mit Stempelschneiden verdient, heuchelt tiefe Armut. Mehr braucht man von den vier Hauptbewohnern des Hauses Suddhoos nicht zu wissen. Ich bin zwar auch noch da, aber ich bin nur der Chor, der zum Schluß auftritt, um alles zu erklären. Ich werde daher nicht mitgerechnet.
    Suddhoo war nicht klug. Der Mann, der angeblich Stempel schnitt, war – denn Bhagwan Daß konnte nur lügen – der Klügste von allen, ausgenommen Janoo. Sie war außerdem schön. Aber das geht uns nichts an.
    Suddhoos Sohn in Peschawar bekam Rippenfellentzündung, und der alte Suddhoo war in großer Sorge. Der Stempelschneider hörte von seiner Besorgnis und schlug Kapital daraus. Er stand auf der Höhe seiner Zeit.

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