Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Er beauftragte einen Freund in Peschawar, ihm täglich die Krankheitsberichte zu telegraphieren. Und damit beginnt die Geschichte.
Der Sohn von Suddhoos Vetter teilte mir eines Abends mit, daß Suddhoo mich zu sprechen wünsche; daß er aber zu alt, zu gebrechlich sei, um zu mir zu kommen, und daß das Haus Suddhoos in alle Ewigkeit geehrt sein würde, wenn ich zu ihm käme. Ich fuhr also hin. Suddhoo hätte einem zukünftigen Vizegouverneur wirklich bei seiner damaligen Wohlhabenheit ein besseres Fuhrwerk schicken können als eine Ekka, die schrecklich stieß und rüttelte, wenn er ihn schon an einem feuchten Aprilabend in die Stadt schleifen mußte. Die Ekka fuhr nicht gerade schnell. Es war tiefe Nacht, als sie der Tür des Grabmales Ranjit Singhs gegenüber nahe am Haupttor der Festung anhielt. Suddhoo erwartete mich und sagte, daß ich dank meiner Leutseligkeit ganz ohne Zweifel Vizegouverneur werden würde, ehe nochmein Haar ergraute. Wir sprachen eine Viertelstunde lang unter dem Sternenhimmel über das Wetter, über meine Gesundheit und über die Weizenernte.
Endlich kam Suddhoo zur Sache. Er erklärte, daß Janoo ihm gesagt hätte, es gäbe eine Regierungsverfügung gegen Zauberei, weil man fürchte, Zauberei könne eines Tages den Tod der Kaiserin von Indien herbeiführen. Ich kannte die Gesetze nicht, aber ich ahnte, daß sich etwas Interessantes begeben würde. Daher sagte ich, daß die Regierung weit davon entfernt sei, die Zauberei zu mißbilligen, daß sie sie im Gegenteil besonders empfehle; die höchsten Staatsbeamten übten sie selber aus. (Wenn der Finanzbericht keine Zauberei ist, dann weiß ich nicht, was überhaupt Zauberei sein soll.) Und dann sagte ich zu seiner Beruhigung, daß ich, falls eine Zauberei im Gange sei, nicht das mindeste dawider hätte; ich würde sie gerne gutheißen und unterstützen, ja sogar darauf achten, daß es »Reine Jadoo« – guter Zauber – bliebe, wohl zu unterscheiden vom bösen Zauber, der den Menschen den Tod brächte. Es dauerte lange, bis Suddhoo zugab, daß er mich gerade darum hergebeten hatte. Ruckweise und mit zitternder Stimme erzählte er mir, daß der Stempelschneider ein durchaus guter Zauberer wäre. Er gäbe ihm tagtäglich Nachricht von seinem kranken Sohne in Peschawar, Nachrichten schneller als Blitze, die immer von den Briefen bestätigt würden. Außerdem hätte er gesagt, daß seinem Sohne große Gefahr drohe, die durch »Guten Zauber« und – natürlich – nur mit Aufwand großer Geldmittel behoben werden könnte. Ich fing an zu verstehen, wie der Hase lief, und sagte Suddhoo, ich verstünde auch ein wenig Zauberei, allerdings nach den Regeln des Westens, und ich wollte mit ihm in sein Haus gehen und achten, daß alles recht und ordnungsgemäß zuginge. Wir zogen zusammen los, und unterwegs berichtetemir Suddhoo, daß er dem Stempelschneider schon ein – zweihundert Rupien bezahlt hätte, und daß der heutige Zauber noch zweihundert Rupien kosten würde. Und das wäre doch billig, sagte er, bei der großen Gefahr, die über seinem Sohne schwebte. Ich glaube nicht, daß er diesen Ausspruch aufrichtig meinte.
Die Lampen vorn am Hause waren alle verhängt, als wir kamen. Aus dem Laden des Stempelschneiders drangen entsetzliche Töne, als stöhne sich jemand die Seele aus dem Leib. Suddhoo zitterte am ganzen Körper und sagte mir, während wir uns die Treppe hinauftasteten, daß der Zauber begonnen hätte. Janoo und Azizun erwarteten uns oben an der Treppe und teilten uns mit, daß die Zauberei in ihren Räumen vor sich gehen würde, weil da mehr Platz wäre. Janoo ist eine Freidenkerin. Sie flüsterte mir zu, der Zauber wäre ein Vorwand, um Suddhoo Geld zu erpressen, und der Stempelschneider würde nach seinem Tode wohl an einen feurigen Ort kommen. Der alte Suddhoo weinte vor Furcht und Schwäche. Er ging im Halbdunkel durch das Zimmer auf und nieder, und wiederholte immer und immer wieder den Namen seines Sohnes. Er fragte Azizun, ob der Stempelschneider den Preis nicht ermäßigen müßte, da er doch sein Hauswirt wäre. Janoo zog mich in die Nische eines der geschnitzten Bogenfenster. Die Fensterläden waren geschlossen, und nur eine winzige Öllampe brannte im Zimmer. Wenn ich mich still verhielt, konnte ich unmöglich bemerkt werden.
Nach einer Weile hörte das Stöhnen unten auf, und wir hörten Schritte auf der Treppe. Es war der Stempelschneider. Er stand vor der Tür still, und der Terrier schlug an. Azizun tastete nach der
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