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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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scharf auf sein Geld aus: das habe ich an ihm nie verstanden. Er soll vor seinem Tode noch ziemlich viel zusammengerafft haben, aber jetzt hat alles sein Neffe, und der Alte ist, nur um begraben zu werden, nach China zurückgelangt.
    Er hielt den großen Raum im Oberstock, wo seine besten Kunden sich versammelten, so blank wie eine Stecknadel. In der einen Ecke stand Fung-Tschings Götze – fast ebenso häßlich wie Fung-Tsching selbst – und unter seiner Nase wurden Tag und Nacht Räucherspäne abgebrannt; aber man roch sie nicht, wenn die Pfeifen ordentlich im Gange waren. Gegenüber von dem Götzen stand Fung-Tschings Sarg. Er hatte einen hübschen Teil seiner Ersparnisse auf diesen Sarg verwandt und immer, wenn sich ein neuer Kunde im »Tor« meldete, wurde er zuerst dem Sarg vorgestellt. Der war aus schwarzem Lack mit roten und goldenen Inschriften, und es hieß, Fung-Tsching hätte ihn die ganze weite Reise aus China mitgebracht. Ich weiß zwar nicht, ob das stimmt, aber das eine ist sicher: wenn ich als erster am Platz war, breitete ich meine Matte direkt unterhalb des Sarges aus. Es war ein stiller Winkel, wissen Sie, und durch das Fenster kam hin und wieder von der Gasse her ein kleiner Luftzug. Außer den Matten gab es in dem Raum keinMobiliar – nur den Sarg und den alten Götzen, über und über grün und blau und purpurfarben vor lauter Alter und Lack.
    Fung-Tsching hat uns niemals verraten, weshalb er das Haus »Das Tor der hundert Leiden« nannte. (Er war der einzige Chinese, den ich je gekannt habe, der sich übelklingender, phantastischer Namen bediente. Die meisten klingen sonst sehr blumenreich.) Davon können Sie sich in Kalkutta überzeugen. Wir kamen ganz von selbst dahinter. Nichts packt einen so, wenn man ein Weißer ist, wie der schwarze Rauch. Die Gelben sind darin anders. Opium hat auf sie fast gar keine Wirkung; aber Weiße und Schwarze nimmt es ziemlich mit. Natürlich gibt es überall Menschen, die es im Anfang nicht stärker spüren als zum Beispiel den Tabak. Sie dösen nur so'n bißchen vor sich hin, wie wenn man von selbst einschläft, und sind am nächsten Morgen fast arbeitsfähig. Ich war nämlich auch einer von der Sorte, als ich mit dem Zeugs anfing, aber nun bin ich schon fünf Jahre ununterbrochen dabei – und jetzt ist es ganz anders geworden. Hatte so 'ne alte Erbtante, unten in der Agraer Gegend, die mir da bei ihrem Tode 'ne Kleinigkeit hinterließ. So rund sechzig Rupien im Monat – fest. Sechzig ist nicht viel. Kann mich noch auf 'ne Zeit besinnen – es scheint mir 'ne Ewigkeit her – da verdiente ich dreihundert im Monat und noch Nebeneinnahmen – damals, als ich die großen Holzlieferungen in Kalkutta hatte.
    Ich blieb nicht lange bei der Arbeit. Der schwarze Rauch gestattet nicht, daß man sich viel mit anderen Dingen beschäftigt, und obgleich er auf mich, verglichen mit den meisten Menschen, nur wenig Wirkung hat, könnte ich doch nicht einen Tag arbeiten, und wenn es um mein Leben ginge! Und schließlich komme ich ja auch mit sechzig Rupien aus. Als der alte Fung-Tsching noch lebte, gab er mir ungefähr die Hälfte der Summe für meinen Unterhalt(ich esse nur sehr wenig) und behielt den Rest für sich. Jederzeit, Tag und Nacht, konnte ich »das Tor« aufsuchen und, wann ich wollte, dort rauchen und schlafen, und das Übrige war mir ja gleichgültig. Ich weiß, der Alte hat ein hübsches Stückchen Geld dabei verdient; aber das war mir ganz gleich; außerdem lief ja immer wieder Geld ein – regelmäßig, jeden Monat.
    Wir waren unser zehn, als »das Tor« eröffnet wurde. Ich – und zwei Eingeborenengentlemen von irgendeinem Amt in Anarkulli; aber sie bekamen später den Abschied und konnten nicht mehr bezahlen (niemand, der tagsüber arbeiten muß, kann es bei dem schwarzen Rauch, ohne Unterbrechung, aushalten); ein Chinese, der Fung-Tschings Neffe war; ein Weib aus den Bazaren, die irgendwo 'ne Menge Geld liegen hatte; ein englischer Bummler – Mac Soundso hieß er, den genauen Namen habe ich vergessen – der große Mengen rauchte, aber niemals etwas zu bezahlen schien (es hieß, er habe einmal, bei irgendeinem Prozeß in Kalkutta, wo er als Anwalt tätig war, Fung-Tsching das Leben gerettet); ein anderer Eurasier, wie ich, aus Madras gebürtig; eine Halbeuropäerin und ein paar Männer, die behaupteten, aus dem Norden zu stammen. Ich glaube, es waren Perser oder Afghanen oder so etwas. Heute sind nur noch fünf von uns am Leben, aber wir fünf kommen

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